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: wachtmeister studers ermittlungen vom jahrhundertschweizer friedrich glauser

Wo der kleine Jähzorn brodelt

Über Neujahr reist man in die Schweiz. Anstatt zwischen beklemmenden Tälern und eisigen Höhen den neuesten Kältemetaphern auf den Grund zu gehen, fährt man besinnungslos Schlitten, sorgt sich um blaue Flecken und Mitbringsel: Parisiennes und Nussstängeli für die Freundinnen und die neuerlich von Ureinwohnern ausgesprochene Empfehlung des Schriftstellers Friedrich Glauser (1896–1938), für den man sich schon seiner beispiellos kaputten Biografie wegen interessieren muss.

Schwer morphiumsüchtig und zeitweilig von seinem Vater entmündigt, verbrachte er sein Leben in zahllosen psychiatrischen Anstalten, Ent- und Erziehungsheimen, versuchte mehrfach Selbstmord zu begehen und arbeitete zwischendurch als Gärtner, Bergarbeiter und Fremdenlegionär. Schrieb eigentlich Romane, brauchte aber ständig Geld für Drogen und gelangte schließlich durch bestsellende Krimis – gewissermaßen in Sublimierung latenter Beschaffungskriminalität – zu Ruhm und späten nationalen Ehren. Denn heute zählt Glauser als „Jahrhundertschweizer“, neben Pipilotti Rist und Le Corbusier. Selbst sein Tod am Vorabend der Trauung mit seiner langjährigen Pflegerin Berthe Bendel erscheint als boshaft krönende Inszenierung eines Schicksals, das es konsequent übel meinte.

Die Vita des Autors hat leider niemand verhörspielt. Wohl aber bringt der AudioVerlag alljährlich ein Glauser-Kriminalhörspiel heraus. „Wachtmeister Studer“ und „Krock & Co.“ sind bereits erschienen; in diesem Jahr folgt „Matto regiert“. Wo Glausers bizarrer Weg wie eine gehässige Karikatur auf Schweizer Lebensqualitäten wirkt, verkörpert der Held seiner Kriminalromane – der berühmte, nie beförderte Wachtmeister Studer – helvetische Tugenden im angenehmsten Sinne. Jakob Studer, von Literaturwissenschaftlern als Konstrukt einer positiven Vaterfigur interpretiert, zeichnet sich durch selbstbewusste Biederkeit und milde Schrullen aus (Coffee & Cigarettes); seine Fälle löst er mit sturem Understatement. Nicht das simple who done it, sondern die subtile Entdröselung der Tätermotive bilden den Kern der Geschichten, und bezeichnenderweise treiben selten Liebe, Hass und Gier nach Macht die Mörder. Es geht am Ende einfach nur ums Geld. Hier eine abzusahnende Lebensversicherung, dort ein dubioser Deal mit erpresserischen Bankdirektoren. Die Schweizer eben.

„Genießen Sie nun ein spannendes Hörspiel von Kult-Autor Friedrich Glauser, das mit helvetischer Gemütlichkeit seinen unverkennbaren Charme entfaltet“, fordert werbetextend eine sonore Stimme am Anfang von „Krock & Co.“. Helvetische Gemütlichkeit: Das ist hier sparsamer Text mit langen Pausen, andante von leider sehr gut hochdeutsch redenden Schweizern gesprochen, allen voran dem Schauspieler Heinz Bühlmann in der Rolle Studers, hinter dessen Phlegma stets ein kleiner Jähzorn, ein obsessiver Wissensdurst brodelt. Doch ein brillanter Sprecher reicht natürlich nicht. Zwar versucht die Regie (Martin Bopp) naturgemäß, die Löcher in der rigoros abgespeckten Prosa mit Atmosphäre zu stopfen, beschränkt sich dabei jedoch einfallslos auf einfältiges Vogelgezwitscher, dörfliche Musikkapellen und bigottes Kirchglockengeläut. Wenigstens ruft kein Berg!

Von so viel demonstrativer Harmlosigkeit will man sich aber gar nicht erst auf die Fährte des klarerweise lauernden Abgrunds locken lassen. Eine schlichte Lesung der Glauser-Krimis hätte letztlich mehr Spannung besorgt.

EVA BEHRENDT

Friedrich Glauser: „Wachtmeister Studer“. 1999; ders.: „Krock & Co.“ AudioVerlag, 2000, 29,95 DM