Die FDP – Partei der Bildung?

Ja
Denn Schulen und Hochschulen, das sind Kernthemen der Liberalen, meint Guido Westerwelle. Der mutmaßlich künftige Parteichef der FDP stellt eine Zusammenhang her zwischen guten Produkten und gut ausgebildeten Menschen. Bildung, so Westerwelle, ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.

Deutschland ist ein Standort mit hohen Löhnen, hohen Kosten, hohen Umwelt- und Sozialstandards. Wenn wir im globalen Wettbewerb erfolgreich sein wollen, muss also noch etwas hinzukommen: Wir müssen bessere Produkte und attraktivere Dienstleistungen als andere Konkurrenten anbieten. Hervorragend ausgebildete Menschen sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Erhalt unserer Innovationskraft.

Noch jeder elfte Schüler verlässt heute die Schule ohne Schulabschluss – und zählt damit nur einen Tag später zu den besonderen Sorgenkindern des Arbeitsmarktes. Die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist in der modernen Informationsgesellschaft dann am größten, wenn das Ausbildungsniveau am niedrigsten ist. Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Deshalb ist die Bildungspolitik ein liberales Kernthema.

Die Eltern zahlen an den Staat immer mehr Steuern und müssen feststellen, dass die Situation an den Schulen sowohl personell als auch sachlich immer schlechter wird. Früher haben sich die Schüler über jede Freistunde gefreut, heute demonstrieren Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam gegen Unterrichtsausfall. Längst gibt es eine neue Form eines sozialen Numerus clausus: Wer es ermöglichen kann, kauft seinen Kindern einen eigenen PC, damit sie lernen, sich in der ständig weiterentwickelnden Informations- und Medienlandschaft einigermaßen zurechtzufinden.

Längst wird Schulgeld gezahlt. Wer es sich leisten kann, ermöglicht seinen Kindern Nachhilfe nach dem Unterricht. Der fade Beigeschmack, den dieses Wort für viele noch haben mag, verkennt längst den wahren Sachverhalt. Bei den Eltern dominiert nämlich der Wunsch, den Nachwuchs kontinuierlich zu fördern und dafür zu sorgen, dass er mit einem guten Zeugnis in Ausbildung und Beruf starten kann. Eltern geben dafür in ganz Deutschland circa 1,8 Milliarden Mark jährlich aus. Für eine Dienstleistung, die eigentlich die Schule zu erbringen hat.

An den Hochschulen sieht es nicht viel anders aus. 90 Prozent aller angehenden Juristen zahlen bis zu 3.000 Mark für einen Jahreskurs beim privaten Repetitor. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder einige Zeit auf teure ausländische Universitäten. Die anderen müssen mit teilweise weniger Qualität und in jedem Fall längeren Studienzeiten zufrieden sein. Nicht der Geldbeutel der Eltern darf für den Wissenserwerb entscheidend sein, sonst droht die Spaltung der Gesellschaft in Wissende und Unwissende. Im Vordergrund muss immer noch die eigene Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft stehen.

Das Leistungssystem muss endlich auch in unseren Bildungseinrichtungen wieder Einzug halten. Wir brauchen ein Ausbildungssystem, dessen Lehrinhalte, Berufsbilder und Ausbildungsgänge auf dem neuesten Stand sind. Die Bildungseinrichtungen müssen weg vom Gängelband der Kultusminister. Schulen und Hochschulen sollen in die Freiheit entlassen werden und können dann selbst über Bildungsinhalte, über Stellenbesetzungen und die effiziente Verwendung ihrer Mittel entscheiden. Die Länder benötigen Freiheit, in einen Wettbewerb um die besten Hochschulen einzutreten, die Hochschulen benötigen Freiheit, in einen Wettbewerb um die besten Studenten einzutreten. Die Studentenlandverschickung durch die ZVS ist von gestern.

Das Einzige, was die Bevölkerung derzeit mit der Kultusministerkonferenz verbindet, ist die Frage, ob man Schifffahrt mit zwei oder drei f schreibt oder Flanelllappen mit zwei oder drei l. Die Kultusminister leisten sich Hunderte von Beamten, die über die Rechtsschreibreform diskutieren. Aber gleichzeitig bekommen sie es nicht hin, dass bundesweit das Abitur nach 12 Jahren angeboten wird. Eine solche Kultusministerkonferenz sollte entmachtet werden zugunsten von mehr Autonomie der Bildungseinrichtungen.

Die traditionelle Berufsausbildung sollte künftig in eine allgemeine Basisausbildung und weitergehende Qualifizierungsbausteine unterteilt werden. Dadurch würde den Auszubildenden eine anforderungsbezogene Spezialisierung und spätere Weiterbildung von Anfang an erleichtert. Analog dazu befürworten wir einen berufsqualifizierenden Hochschulabschluss schon nach drei Jahren. Daran anschließende Aufbaustudiengänge ermöglichen die zielsichere Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses für Lehre, Forschung und Wirtschaft.

Nicht zuletzt sollten wir die Bedingungen für Stiftungen und privates Engagement weiter verbessern. Privatwirtschaftliches Sponsoring muss auch bei uns zum Regelfall werden. Mir ist ein moderner Daimler-Chrysler-Hörsaal allemal lieber als eine vergammelte Johann-Wolfgang-von-Goethe-Aula.

GUIDO WESTERWELLE

Nein
Talkshow-Sprüche ersetzen kein langfristiges Konzept. So stichelt der junge Ministerpräsident von Niedersachsen, Sigmar Gabriel, gegen die bildungspolitischen Initiativen seines Kontrahenten. Die Meriten der FDP seien längst vergangen. Einig geht er aber mit Westerwelles Grundannahme: dass Bildung die soziale Frage dieses Jahrhunderts sei.

Die FDP eine Bildungspartei? – Wohl kaum, wenngleich ich gern konzediere, dass die FDP große Verdienste um die deutsche Bildungspolitik hat. Aber das ist 30 Jahre her. Damals hat sie an der Seite der SPD die erste deutsche Bildungsreform mit vorangetrieben und damit den großen Modernisierungsschub der Bundesrepublik angestoßen.

16 Jahre lang war die FDP dann an einer Bundesregierung beteiligt, die die Ausgaben für Bildung und Forschung allein in den Jahren 1993 bis 1998 um 700 Millionen Mark gekürzt und das Bafög kaputtgespart hat. Fakt ist, dass die niedersächsische Landesvorsitzende und Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn erstmals die Ausgaben in diesem Bereich steigert – und das gleich um satte 500 Millionen Mark pro Jahr.

Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Bildung der Motor für gesellschaftlichen Aufstieg, für Teilhabe am öffentlichen Leben ist. Chancengleichheit herzustellen ist ein Grundanliegen sozialdemokratischer Politik. Das ist kein historischer Zufall – schließlich ist die SPD aus der Arbeiterbildungsbewegung hervorgegangen. Damals wie heute gilt: Nur wer die bestmögliche Bildung für alle ermöglicht, kann soziale Gerechtigkeit herstellen.

Die FDP als „Partei der Besserverdienenden“ wird schon angesichts ihrer eigenen Klientel nie Bildungspolitik für alle machen können. Reformen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie umzusetzen ist auch nicht immer einfach. Aber nur eine große Volkspartei kann die ganze Breite der gesellschaftlichen Interessen abbilden: Bildungspolitik darf nicht zur Klientelpolitik verkommen. Längst ist Wissen als vierter Produktionsfaktor die wichtigste gesellschaftliche Ressource. Wir führen in der SPD eine intensive, zum Teil auch kontroverse Debatte darüber, was dies für die konkrete Politik bedeutet.

In Niedersachsen haben wir mutige Antworten für die Zukunft gefunden: Wir planen eine Schulstrukturreform, die darauf zielt, alle Talente und Kreativitätspotenziale auszuschöpfen – ohne dass die Schwachen dabei auf der Strecke bleiben. Wir statten die Schulen mit modernster IT-Technologie aus und qualifizieren die Lehrerinnen und Lehrer. Denn in der Schule entscheidet sich, ob wir eine „digitale Spaltung“ der Gesellschaft zulassen.

Wir beraten ein neues Hochschulgesetz, das die Hochschulen vom staatlichen Gängelband befreit – deshalb streichen wir mehr als die Hälfte aller Paragrafen. Konsequenterweise ermöglichen wir als erstes Bundesland die Überführung der Hochschulen in Stiftungen. Wir fördern den wissenschaftlichen Nachwuchs und stärken den studentischen Einfluss auf die Lehre. All das ist kein Selbstzweck. Wir schaffen schlicht die Strukturen, die die Hochschulen brauchen, um gegen die wachsende private Konkurrenz aus In- und Ausland bestehen zu können – denn der gegenwärtige Boom der Privatunis ist ja auch Symptom für Schwächen im alten System.

Die Wissensgesellschaft birgt ganz neue Herausforderungen. In vielen Bereichen – etwa in der Bio- und Informationstechnologie – sind Wissenschaft und Forschung längst zum entscheidenden Jobmotor geworden. Die sich so innovationsfreudig gebende FDP ist mit dafür verantwortlich, dass die Kohl-Regierung auch diese Entwicklung schlicht auszusitzen versucht hat. Die Notwendigkeit der Green Card hat gezeigt, wohin so eine Politik führt.

Es war die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung, die die Mittel für die Forschungsförderung in diesen Schlüsselbereichen gleich nach Amtsantritt erheblich aufgestockt hat. Investitionen in Bildung und Forschung und konsequente Haushaltssanierung sind bei Rot-Grün zwei Seiten einer Medaille: Beides zusammen sichert die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. In der Wissensgesellschaft werden wir es uns nicht mehr leisten können, Bildungspolitik auf einzelne Kästchen zu verteilen. Nur wer alle Bildungseinrichtungen – vom Kindergarten bis zur Weiterbildung, von der beruflichen bis zur akademischen Bildung – zusammendenkt, kann tragfähige Konzepte für die Zukunft entwickeln.

Die SPD setzt dabei auf einen breiten Konsens unter allen Beteiligten, sei’s im Bündnis für Arbeit, sei’s bei der Reform des Hochschuldienstrechts oder im Forum Bildung. Bildungspolitik taugt nicht zum Populismus, denn die Fehler, die wir dort heute machen, müssen unsere Kinder ausbaden. Flotte Sprüche in Talkshows ersetzen eben kein langfristiges Konzept.

Es ist das Schicksal der FDP, nur noch in einer einzigen Landesregierung für Bildung verantwortlich zu sein. Ruth Wagner, die hessische Wissenschaftsministerin, macht zwar viel von sich reden – nur leider nicht mit mutigen Reformen im Hochschulbereich. Wir brauchen mehr Wettbewerb in der Bildungspolitik. Deshalb wünsche ich mir, dass die FDP das Thema Bildung wieder für sich entdeckt und neue, tragfähige Konzepte in die politische Debatte bringt. Auf absehbare Zeit aber wird die SPD die bessere Ideenwerkstatt bleiben.

SIGMAR GABRIEL