Das große Sockensterben

Lustvoll und überbordend oder technisch-unterkühlt: Het Hans Hof Ensemble und Kinkaleri auf Kampnagel  ■ Von Irmela Kästner

Er sorgt dafür, dass andere im Licht stehen und hält sich selbst namenlos im Hintergrund: Das Los eines Technikers. Eine deutsch/holländische Tanztheaterformation hat da jetzt Abhilfe geschaffen und ihre Compagnie, das Hans Hof Ensemble, gleich nach ihrem Techniker benannt. Dabei ist Unter- und Hintergründiges auch sonst ihre Spezialität, wie die agile Truppe bereits zweimal beim „Junge Hunde“-Festival bewiesen hat. Und Kritiken zu ihrem neuesten Stück Stadt bei Nacht zu Folge, mit dem das Hans Hof Ensemble erneut auf Kampnagel bei den IndepenDance Days auftreten wird, ist ihre Phantasie noch abgründiger geworden.

Nach kafkaeskem Vorbild geraten hier Menschen in wahnwitzigs-te Situationen, führen Gegenstände ein groteskes Eigenleben. Von Walzer tanzenden Sofas ist da die Rede, vom großen Sockensterben und einem Koffertier. Die Stadt, bei Tage nett und aufgeschlossen, kehrt nachts ihr wahres Gesicht hervor, quillt zähnefletschend durch Mauerritzen in gar nicht mehr heimelige Wohnstuben.

Andrea Boll, Klaus Jürgens, Andreas Denk und Mischa van Dullemen sind die vier Protagonisten dieses skurrilen Tanztheaters, die auch allesamt für Konzept und Choreografie verantwortlich zeichnen. Wie bereits erwähnt, wird der Techniker als Namensspender geehrt, der Pianist dafür ans Klavier gekettet und willenlos mit den Kulissen verschoben, während er das Geschehen musikalisch begleitet.

Eine filmische Sicht in der Verquickung von Szenen, Verschränkung und Wiederholung von Episoden kennzeichnete schon die Erzählweise der bizarren Kellerwohngemeinschaft in ihrer Produktion In Antwort auf Ihr Schreiben, mit der das Ensemble zuletzt in Hamburg gastierte. Manchen mögen die Slapstickeinlagen an frühere Arbeiten von Sasha Waltz erinnern. Doch ist hier alles eine Spur schrulliger und irrsinnger.

In Holland haben sich die vier getroffen, wo sie zum Teil an der Rotterdamse Dansacademie studiert haben, dann in verschiedenen holländischen und belgischen Compagnien tanzten, bevor sie 1996 das Hans Hof Ensemble gründeten. Seitdem klettern sie mit ihren urkomischen, absurden und dazu anrührenden Studien zwischen Alltag und Albtraum auf der Erfolgsleiter stetig nach oben.

Die italienische Gruppe Kinkaleri erhebt ebenfalls den Ausnahmezustand zu ihrem (Kunst)-Programm. Vision und Möglichkeit, Begrenzung und Veräußerung sind ständig wiederkehrende Themen in ihren multimedial konzipierten und umgesetzten Arbeiten. Die Stücke des 1995 gegründeten Künstlerkollektivs gleichen eher Installationen, in denen die Tänzer/Performer wie entpersönlichte Wesen agieren. Hier werden keine Geschichten erzählt, sondern Versuchsanordnungen arrangiert, Situationen programmiert, in denen die scheinbar unbelebten Körper nur noch mechanisch auf technische Reize reagieren und sich dabei in zwanghafter Wiederholung artikulieren: Tanz im Zeitalter der Computerspiele.

Elektronische Musik, bildende Kunst, Film und Video nehmen in den künstlerischen Recherchen stets breiten Raum ein. In Doom ließ Kinkaleri sich vom Theater Samuel Becketts, von der Malerei Francis Bacons, von Körperinszenierungen in Pornomagazinen und medizinischen Abhandlungen inspirieren. Esso, eine deutsche Erstaufführung in dem auf Kampnagel präsentierten Doppelprogramm, konfrontiert einen DJ mit zwei Tänzern. Mit improvisierten Statements, im Sinne von Behauptungen und Gegenreden, agieren die drei in einem engen und streng definierten Raum.

Somit stehen sich in der zweiten Woche der IndepenDance Days wieder Produktionen gegenüber, die den Tanz aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Zum einen das Hans Hof Ensemble, das lustvoll und überbordend, rasant und dynamisch die dunklen Seiten der menschlichen Psyche auslotet. Und zum anderen Kinkaleri, mit einer obsessiven, unterkühlten Techno-Körper-Schau, die gen Stillstand strebt.

Hans Hof Ensemble: 18.-20.1., jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel, k6

Kinkaleri: 24., 26., 27.1., jeweils 19.30 Uhr, auch k6