Pünktlicher Sinneswandel

Bei der Senatsanhörung zu seiner Bestätigung als US-Justizminister versucht Bushs Kandidat John Ashcroft, die Bedenken seiner Gegner zu zerstreuen

WASHINGTON taz ■ John Ashcroft ist ein ultrakonservativer, tief religiöser Jurist, der als Justizminister die bürgerlichen Rechte von Frauen und Afroamerikanern beschneiden würde. Oder: John Ashcroft ist ein verantwortungsvoller Mann, der die Moral in den Vereinigten Staaten stärken und der als Justizminister den Gesetze gegen Kriminelle mehr Geltung verschaffen würde. Diese zwei Sichtweisen des bislang umstrittensten Kabinettskandidaten George Bushs prallten am Dienstag bei der Anhörung Ashcrofts im US-Senat aufeinander.

Wer erwartet hatte, Ashcroft würde seine Handlungen und Standpunkte vehement verteidigen und sich damit womöglich um Kopf und Kragen reden, wurde enttäuscht. Der frühere Justizminister, Gouverneur und Senator von Missouri war intelligent genug, in einem ausführlichen Statement möglichst viele der Zweifel an seiner Eignung für sein neues Amt zu zerstreuen.

Will er das Recht auf Abtreibung, wie es 1972 vom Supreme Court verbrieft wurde, kippen? Nein, er werde als Justizminister die bestehenden Gesetze aufrechterhalten, auch wenn er persönlich gegen Abtreibungen sei.

Hat er die Berufung eines Afroamerikaners an das Oberste Gericht Missouris wegen dessen Hautfarbe verhindert? Nein, er hielt ihn nicht für qualifiziert, und er habe eine große Zahl anderer Afroamerikaner zu Richtern gemacht.

Hat er Maßnahmen hintertrieben, die Situation von schwarzen Schülern in den zerfallenden Schulen von St. Louis zu verbessern, konkret, ihre Umschulung in besser ausgestattete Lehranstalten in den Vororten? Das habe er getan, weil die Finanzierung der täglichen Busfahrten ungeklärt gewesen sei. Er werde, betonte Ashcroft, den Gesetzen auch dann Geltung verschaffen, wenn sie seinen persönlichen Überzeugungen zuwiderlaufen. „Ich werde dies schwören, und ich werde meinen Schwur erfüllen, so wahr mir Gott helfe“, sagte er und wurde kurz durch Zwischenrufe aus dem Publikum unterbrochen: „Ashcroft mordet!“

Dem ersten Akt des Kräftemessens zwischen Demokraten und der neuen Bush-Administration fehlte es an Drama, vor allem, da die Erwartungen so hoch gespannt waren. Ashcroft ist der Champion der fundamentalistischen Christen im Bush-Kabinett, ein Mann, der aus religiösen Gründen nicht raucht, nicht trinkt und nicht tanzt, der Homosexualität und Pornografie für Teufelswerk hält. Noch nie hat es ein Anhänger der evangelikalen Pfingstkirchen so weit in einer US-Regierung gebracht. Aber im US-Senat, dem Ashcroft die vergangenen sechs Jahre bis zu seiner Wahlniederlage im November angehörte, schätzt man seine verbindliche Art. Er lud morgens zum Gebet in sein Büro, aber er hielt keine Hetzreden auf dem Podium.

Bürgerrechtsorganisationen, Verbände der Afroamerikaner und Frauengruppen haben gegen Ashcroft energisch mobilisiert – der republikanische Senator Charles Grassley sprach von einem „extremistischen Mob, der die Medien beherrschte“ – und ihn zu einem zweiten Fall Bork machen wollen. Robert Bork, ein ultrakonservativer Verfassungsrechtler, sollte unter Präsident Ronald Reagan 1986 an den Obersten Gerichtshof berufen werden, wurde aber nach erbitterten Debatten im Senat abgelehnt. Ashcroft sagte, als Justizminister habe er nicht über die Gesetze zu befinden, sondern sie einzuhalten.

Die Vorsitzende der National Abortion Rights Action League, Kate Michelman, kommentierte, „Die Frage ist, ob wir diese plötzliche Sinnesänderung glauben sollen oder ob nicht sein lebenslanger Kampf gegen diese Gesetze für Frauen bedeutsamer ist.“

Die Anhörung sollte gestern fortgesetzt werden.STEFAN SCHAAF