Verräterische Spucke: Männer vor Gericht

■ DNA-Datei des BKA spuckt jetzt Tatverdächtige aus: Eingestellte Vergewaltigungsfälle werden neu aufgerollt

Vor sechs Monaten kam die Kugel ins Rollen, die jetzt zahlreiche, bislang unentdeckte Vergewaltiger aus der Freiheit hinter Gitter kegeln wird. Im Juli vergangenen Jahres haben Polizei und Staatsanwaltschaft die Fährten aufgenommen. In Bremen wurden seither in vier bereits vor Jahren eingestellten Vergewaltigungsverfahren die Ermittlungen wieder aufgenommen.

Die noch im Aufbau befindliche zentrale DNA-Datei des BKA in Wiesbaden (siehe Kasten unten) hatte die verräterischen Hinweise auf die verdächtigen Sexualstraftäter ausgespuckt, nachdem deren genetischer Fingerabruck wegen einer anderen Straftat gespeichert worden war. Der erste Bremer Täter ist bereits verurteilt. Zwei weitere Männer sitzen in Untersuchungshaft. Von einem vierten schwer Verdächtigen weiß man, dass er – nachdem er seine Haft wegen einer anderen Straftat abgesessen hatte – ins Ausland abgeschoben wurde. In anderen Fällen laufen die polizeilichen Ermittlungen noch. „Die Zahl der Verfahren wird sich sicher erhöhen“, sagt Werner Meyer vom Kommissariat 32, zuständig für Sexualdelikte.

Doch obwohl die Ermittler zuversichtlich und zufrieden über ihre jüngsten Erfolge sind, machen sie auch Einschränkungen. „Die meis-ten Frauen sind von einer solchen Nachricht wie vom Donner gerührt“, berichtet Kripo-Mann Meyer. Das Bremer K32 bemühe sich deshalb darum, bei den damaligen Opfern persönlich vorzusprechen. Immerhin datiert der älteste Bremer Fall von 1991. Andere von 1994 oder 1996. Inzwischen haben die betroffenen Frauen versucht, mit dem Erlebten irgendwie klar zu kommen, nachdem das letzte offizielle Schreiben von der Staatsanwaltschaft ja schon vor Jahren eingetroffen war. Wenn dann plötzlich die Kriminalen vor der Tür stehen, stoßen die Ermittler nicht direkt auf Erleichterung.

Auf den ersten Schock sind die Bremer Kipo-Leute vorbereitet. Und auch darauf, Vorfälle wie jüngst in einem niedersächsischen Dorf, wo Polizisten ein früheres Bremer Opfer in Amtshilfe informieren sollten – und aufsehenerregend in Uniform mit Streifenwagen vorfuhren – zu vermeiden.

„Bisher haben die Frauen alle mit uns kooperiert“, lautet die erste informelle polizeiliche Bilanz. Die Ermittler sind über diese Entwicklung – die auf diesem historisch neuen Feld niemand sicher erwarten konnte – erleichtert. Denn trotz der verräterischen Gen-Spur, die die Täter einst am Opfer zurückgelassen haben, ist die Aussage der Zeugin für den Verlauf der Verhandlung oft ausschlaggebend – obwohl es sich bei den jetzt auflaufenden Verfahren allesamt um Überfälle durch völlig Fremde handelt. Um das Horrorszenario schlechthin, das statistisch gesehen die Ausnahme unter den Vergewaltigungsfällen darstellt: die Attacke auf der Straße beispielsweise, oder die Vergewaltigung durch einen völlig Fremden, der durchs Fenster kam. Zwei der bevorstehenden Verfahren betreffen Männer, die ihr Opfer in der eigenen Wohnung überraschten.

Ein erster Prozess aus der neuen Ermittlungsreihe ist bereits abgeschlossen, das Urteil rechtskräftig. Kurz vor Weihnachten wurde der – angesichts der erdrückenden Beweislast geständige – Täter zu fast fünf Jahren Haft verurteilt. Der mittlerweile 32-Jährige hatte sein Opfer 1994 in Bremen-Horn mit einem vorgehaltenen Messer in sein Auto gezerrt und der Frau dort Gewalt angetan. In den BKA-Computer war der Mann, der bis zu seiner Festnahme als Staplerfahrer arbeitete, nach einer früheren Haftstrafe wegen eines anderen Sexualdelikts und damit verbundenen Eigentumsdelikts geraten.

Sein Opfer, das nach der Attacke das Studium an den Nagel hängte, leidet bis heute an den Folgen des Verbrechens. Die Anwältin Karin Gattig, die auch an den kommenden Verfahren beteiligt ist, bezeichnet ihre Mandantin als noch heute schwer traumatisiert. Die erste Kammer des Bremer Landgerichts nahm darauf Rücksicht: Die Frau musste den Täter während des Prozesses nicht sehen.

Die Ermittlungserfolge durch die neuartige Gendatei des BKA kommen nicht überraschend. Von Anfang an spekulierten Polizei und Staatsanwaltschaft darauf, dass hier die Trefferquote besonders hoch ausfallen würde. „Vergewaltiger hinterlassen oft eindeutiges Spurenmaterial“, sagt Sonder-Staatsanwältin Tanja Wyluda.

Mit der Einführung der bundesweiten Gendatei seit 1998 ist der Spruch: „Vergewaltiger wir kriegen Euch“ zwar kein hohles Versprechen mehr. Allerdings weiß niemand genau, wie viele Vergewaltigungsfälle in der Vergangenheit unaufgeklärt blieben. Das gibt keine Statistik her. Bekannt ist nur: Die Bremer Staatsanwaltschaft verzeichnete im vergangegen Jahr 101 Verfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung – was nicht nur Vergewaltigungen umfasst. Und: Bislang ergab der Datenabgleich 15 Treffer. ede