Bildung gut, Nachschlagen besser?

Alles, was man wissen muss, an einem Nachmittag vorm PC: Vom gutbürgerlichen Bildungskanon, der längst überholt ist, über die neuen Möglichkeiten des Wissenserwerbs im Internet, Onlinelexika und ungewöhnliche Nachschlagewerke bis hin zum Absturz des eigenen Computers

„Alles, was man wissen muss“, verspricht Dietrich Schwanitz in der Unterzeile seines 538 Seiten schweren Bestsellers über das europäische Bildungsgut. Es ist natürlich Unsinn, in ein Werk all das hineinpacken zu wollen, was angeblich zum Wissenskanon gehört. Und warum nur der europäische? Für den emeritierten Professor versteht sich das von selbst, schließlich habe die ganze Welt „unsere kulturellen Erfindungen übernommen“. Um etwa das Indien von heute zu verstehen, empfiehlt Schwanitz, „eher das England des 18. Jahrhunderts zu studieren als Indien selber“. Über die Verbrechen, die im Namen der vermeintlich überlegenen europäischen Vernunft begangen wurden, schweigt sich Schwanitz dagegen lieber aus.

Statt an ein ominöses Kompendium halte ich mich lieber an das Internet. Sein Vorteil ist die grenzenlose Weite, von einer „Informationsinsel“ kann man zur nächsten springen. Allerdings sind im Netz die Schlüsselqualifikationen für den Wissenserwerb nicht mehr die potentiell erreichbaren Daten, sondern die schwierige Kunst, eine vernünftige Auswahl zu treffen.

Also beschränke ich mich hier auf die überschaubare Aufgabe, zwecks Selbstbildung ein paar brauchbare Lexika im Internet aufzustöbern. Dass es sich um einen Marktsektor mit zunehmender Bedeutung handelt, bestätigen die Analysten von Merrill Lynch, die den elektronischen Wissensportalen bis Ende des Jahres weltweit einen Gesamtumsatz von 14 Milliarden Mark prognostizieren.

Die altehrwürdige Encyclopädia Britannica, 1768 erstmals erschienen, lässt sich online immerhin für zwei Wochen kostenlos nutzen – danach muss man wohl oder übel seine Identität (und die E-Mail-Adresse) wechseln, wenn man weiterhin gebührenfrei recherchieren möchte. Eine gute Alternative ist die ebenfalls englischsprachige und ähnlich umfangreiche, dafür aber kostenlose Funk & Wagnalls-Enzyklopädie. Wer sich nicht nur für den humanistischen Bildungskanon, sondern auch für die dunklen Seiten der abendländischen Geschichte interessiert, wird in beiden Lexika fündig: Wenn man zum Beispiel den Begriff „Sklavenhandel“ eingibt, ein auch von Schwanitz völlig ausgespartes Thema, erhält man ausführliche Artikel.

In deutscher Sprache gibt es seit April 2000 Wissen.de, nach eigenen Angaben „Europas größtes kostenfreies Wissensportal im Internet“. Das Bertelsmann-Tochterunternehmen wird von der Erlanger Liste, die neben Onlinewörterbüchern unzähliger Sprachen auch Lexika-Links aufführt, als „sehr empfehlenswert“ bewertet. Zum Begriff Sklavenhandel führt Wissen.de indes nur einen einzigen Eintrag auf – im Wörterbuch.

Bei der Suche nach speziellen Nachschlagewerken verheddere ich mich schließlich immer mehr. Als ich www.hausarbeiten.de entdecke, bin ich noch guter Dinge: Im Archiv dieses Anbieters lagern derzeit über 9.000 Seminarabeiten und Schulaufsätze zu allen erdenklichen Themen – ich finde einen schönen Text über den Migrations- und Kommunikationsforscher Vilém Flusser. Dann stöbere ich nach biografischen Suchmaschinen: Das Munzinger-Archiv kostet, während das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon“ zwar nicht nur, aber in erster Linie religiöse Persönlichkeiten detailliert behandelt.

Anschließend wende ich mich an das Wer-weiß-was-Portal, eine Expertensuchmaschine. Zum Thema Sklaven kann man mir jedoch auch keinen Fachmann vermitteln. Bei dem Großen Z, einer umfassenden Aphorismen- und Zitatensammlung, verläuft die Suche gleichfalls ergebnislos. Als ich hier auf ein Heinrich-Lummer-Zitat stoße („Ausländer sind eine Bereicherung für Deutschland, aber jetzt sind wir reich genug“), wird mir allmählich unheimlich zumute. Am Ende versuche ich Encarta von Microsoft, die abgespeckte Onlineversion der als CD-ROM bekannten Multimedia-Enzyklopädie, aufzurufen – mit dem Ergebnis, dass mein PC abstürzt. Ich gebe auf und schwöre mir, gleich morgen in die nächste öffentliche Bibliothek zu gehen. OLE SCHULZ