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Schwarze Kapitale

Wie viele Städte des Rust Belts, wie die Industriemetropolen des Mittleren Westens der USA genannt werden, wurde Detroit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Anlaufpunkt schwarzer AmerikanerInnen aus den Südstaaten. An den Fließbändern der Autofabriken, so das Versprechen, konnte jeder Arbeit finden, ungeachtet seiner Hautfarbe oder Herkunft. Der Anteil der Bevölkerung mit afroamerikanischer Abstammung beträgt in der City of Detroit heute rund achtzig Prozent.

Seit der Wahl des legendären Bürgermeisters Coleman Young im Jahr 1973 wird die Stadt von einer afroamerikanischen Administration regiert. Young, der aus dem Umfeld der radikalen schwarzen Gewerkschaftbewegung der Sechzigerjahre kommt, galt den einen als Big Daddy, der die Interessen der City of Detroit gegen die hostile suburbs, die „feindlichen Vororte“, schützt. Die VorortbewohnerInnen wiederum sahen in ihm den rassistischen Scharfmacher, der mit seiner aggressiven Rhetorik die letzten politischen und ökonomischen Verbindungen zum weißen Detroit aufs Spiel setzte. Erst 1993 wurde Young von Dennis Archer abgelöst, der wesentlich moderatere Töne gegenüber den Suburbanites anschlägt.

Der in Detroit omnipräsente Henry Ford hat einmal die Stadt als „unamerikanischen Lebensraum“ bezeichnet. Rund um das Hauptquartier der Ford Motor Company in Dearborn (unmittelbar jenseits der Stadtgrenze der City of Detroit) entstanden unter seiner Regie bereits in den Vierzigerjahren Wohnsiedlungen mit dazugehörigen Nutzgärten. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren setzte sich die weitere Zersiedelung Detroits in immer ausgedehntere Vorortareale fort. Aber erst die gewaltsamen Zusammenstöße von 1967, als weiße DetroiterInnen in Panik ihre Häuser in der Innenstadt verließen, führten zu einer soziogeografischen Situation, die man ohne Übertreibung als Apartheid bezeichnen könnte.

Einige Suburbs wie Grosse Pointe oder Bloomfield Hills zählen zu den Bezirken mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der USA. Die meisten dieser ehemals reinen Wohngebiete bilden mittlerweile Subzentren mit eigener Infrastruktur. Inzwischen ist die Bevölkerungsdichte in den Suburbs wesentlich höher als in der Innenstadt. So hat sich bewahrheitet, was Henry Ford seinerzeit voraussagte: dass Detroit über kurz oder langzum Vorort seiner eigenen Suburbs schrumpfen werde.

ANNETTE WEISSER

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