Ene, mene, Gene

Bisher gibt die Biotechnologie nur Versprechungen ab. Therapien sind nicht in Sicht. Doch die vage Hoffnung auf Heilung reicht, um eine umstrittene Technik durchzusetzen

Bisher wurde niemand durch therapeutisches Klonen geheilt. Viele Organe sind zu komplex

Vor kurzem fand in der Evangelischen Akademie Tutzing die Tagung „Der vermessene Mensch“ zur Gentechnik statt. Abschließend wurde in einem vom ZDF übertragenen Gottesdienst Beistand von ganz oben erbeten: „Herr, gib den Wissenschaftlern die Kraft, bescheiden zu bleiben und die Grenzen ihres Tuns zu erkennen.“ So weit ist es gekommen: Bei der Biotechnologie hilft nur noch Beten. Kaum jemand glaubt noch ernsthaft daran, dass sich Grenzüberschreitungen in der Gentechnik verhindern lassen, dass bewährte Tabus weiterhin tabu bleiben. Längst haben Forscher und Politiker den „Köder der Utopie“ (Hans Jonas) aufgeschnappt. Wo auch immer diffuse Heilversprechen auftauchen, werden bisher verbotene oder umstrittene Techniken in der Medizin plötzlich akzeptabel. Aus einem klaren Nein wird in immer kürzeren Zeitabständen ein „Ja, aber“. Was nonchalant als Diskussion „ohne ideologische Scheuklappen“ (Gerhard Schröder) bezeichnet wird, beschleunigt die Bestrebungen, zugunsten einer neuen Technokratie alte Maßstäbe und Überzeugungen – etwa das Tabu der Embryonenforschung oder von Eingriffen in die Keimbahn – aufzugeben. Schröders neues Team assistiert kräftig; die dubiosen Thesen von Kulturstaatsminister Nida-Rümelin und die Unbekümmertheit der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Fragen der Gentechnik passen ins Bild.

Dass Gesundheit und Leben begrenzt sind, tritt in der Diskussion um die neuen Möglichkeiten von Forschung und Technik zunehmend in den Hintergrund. Das Votum britischer Politiker für das „therapeutische Klonen“ mit embryonalen Stammzellen ist der jüngste Versuch, die Grenze weiter zu verschieben. Dadurch wird auch das Menschenbild der Medizin verändert, zu deren Aufgaben es traditionell gehört, mit der Begrenztheit des Lebens umzugehen. Gegenwärtig ist bereits zu erkennen, dass dies immer häufiger vergessen wird. Die Machbarkeit dominiert über die Vergänglichkeit.

Und deshalb wird sich das Klonen nicht aufhalten lassen. Nachdem die Geburt des Klonschafs „Dolly“ 1997 bekannt wurde, gab es zunächst ein ebenso einhelliges wie entschiedenes „Niemals“ zum Klonen von Menschen. Die Front der Ablehnung ist mittlerweile löchrig. Wer Klonen will, fängt klein an: mit Zellen und Gewebe. Außerdem gibt es bewährte Strategien, umstrittene Techniken akzeptabel zu machen: Eine Maßnahme wird als Ultima Ratio für Schwerkranke in die Diskussion gebracht. Wurde bei Todgeweihten oder im Tierversuch ein neues Verfahren halbwegs unfallfrei ausprobiert, ist die Tür für den nächsten Schritt aufgestoßen: die Anwendung bei weniger Kranken oder Gesunden. Genau diesen ethischen Dammbruch befürchten Gegner des therapeutischen Klonens: Heute werden Organe und Gewebe reproduziert, morgen vielleicht schon ganze Menschen. Bisher wurde niemand durch therapeutisches Klonen geheilt. Viele Organe sind zu komplex, um sie nachzuahmen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis dies gelingen wird. Doch was sind schon ein paar Jahre, wenn die Utopie eines leidensfreien Lebens am Horizont aufscheint? Sobald eine Technik existiert, ist es schwer, sie nicht anzuwenden. Anstelle der embryonalen Stammzellen kann auch die Gentherapie von Keimzellen als Beispiel für die zunehmende Akzeptanz umstrittener Technologien dienen. Sie ist weltweit bisher verboten, wird aber von immer mehr Forschern propagiert.

Dass die Entscheidung für oder gegen eine neue Technik nicht demokratisch, sondern technokratisch fällt, ist ein weiteres Merkmal. Die Schwerpunkte werden nach den Interessen von Experten gesetzt, wer immer das sein mag. Permanent fällt der Satz vom Forschungsstandort Deutschland, der in Gefahr sei, von Wissenschaftlern, die ins Ausland abwandern wollen. Die Förderung einer bestimmten Forschungsrichtung ist immer eine Entscheidung gegen eine andere. Hier geht es um die Verteilung von Ressourcen, auch wenn zurzeit nicht nur um Geld, sondern besonders um die Ressource Aufmerksamkeit gebuhlt wird. Was national wie ein Kampf um die Fleischtöpfe zwischen konkurrierenden Wissenschaftlern aussieht, hat international eine andere Dimension: In Zukunft wird sich ein bestimmter Teil der Weltbevölkerung ein paar Schritte in Richtung Unsterblichkeit leisten können, während der Rest verhungert.

Es gehe nicht um Unsterblichkeit, wenden Forscher ein, es gehe um die Lebensqualität der Kranken – auch hier bestehe eine ethische Pflicht, nämlich zu helfen. Ein Patient mit Alzheimer oder Parkinson lebt nicht länger, wenn er geklontes Gewebe transplantiert bekommt. Aber wahrscheinlich besser. Soll man dies Kranken vorenthalten? Wenn es um konkrete Behandlungsmöglichkeiten ginge, wäre die Antwort einfach. Doch alles, was Wissenschaftler bisher ausstellen, ist ein Wechsel auf die Zukunft. Sie reden von Visionen, als ob sie Realität wären, übertragen Ergebnisse aus Tierversuchen auf Menschen. Eine zu unsichere Währung, um dafür bisherige Überzeugungen einzutauschen, seien sie religiös, historisch oder emotional motiviert.

Das Unbehagen ist momentan größer als die Argumentationskraft: Klonen könnte das Menschenbild verändern, der entgrenzte Mensch wird womöglich real. Manchmal wirken diese Mahnungen von Ethikern allerdings nur hilflos, wenn sie zum Innehalten im Fortschrittsrausch auffordern. Unterdessen erodieren Wertvorstellungen; der Wahrnehmungswandel vollzieht sich schleichend, aber stetig. Was ist beim Gewebeersatz künstlich, was natürlich? Was eigen, was fremd? Wo liegt die Grenze zwischen Mensch und Tier? „Brehms Tierleben“ ist angesichts der Basteleien in den Labors längst ein Märchenbuch. Wann werden unsere Konzepte von Identität und Individualität obsolet? Bereits bei einer Therapie mit aus eigenen Zellen gezüchtetem Gewebe oder erst, wenn „fremde“ Nervenzellen das Großhirn eines Alzheimer-Kranken auffrischen? Und: Wer lächelt mich dann an? Der Kranke oder sein Zellspender? Und wer, wenn das Gewebe aus eigenen Zellen gewonnen wurde?

Dass Leben begrenzt ist, tritt in den Hintergrund. Die Machbarkeit dominiert über die Vergänglichkeit

Einschränkungen – etwa alle Gewebe, nur nicht Gehirn und Keimbahn zu klonen – spiegeln unsere kulturellen Selbstverständlichkeiten wider. Das Gehirn gilt als Sitz von Charakter und Identität. Die politische Forderung, der Gewebeersatz solle das Gehirn ausnehmen, ist für manche Hirnforscher dennoch abwegig. Sie argumentieren nicht zu Unrecht, dass durch Psychopharmaka oder neurochirurgische Eingriffe unser Wesen viel massiver verändert wird. Mit solchen Einwürfen werden wir auf die Sorge um unser fragiles Ich zurückgeworfen. Gegen wirksame Behandlungsmöglichkeiten kann schließlich niemand sein. Vor der Aussicht auf Therapie kapitulieren alle Bedenken. Dabei halten etliche Forscher Gewebeersatz auch ohne therapeutisches Klonen für möglich. Wenn wir schon unbedingt Gewebeersatz wollen, muss diese Forschung gefördert werden, damit Stoßgebete in evangelischen Akademien keine frommen Wünsche bleiben.

WERNER BARTENS