Von Fluch und Flüchen

Hofladen, Direktvermarktung, Stroh im Schweinestall: Bauer Richter aus Brandenburg kann sich vieles vorstellen – wenn es sich bezahlen ließe

aus Schwante KAROLINE BLUM

Hätte sie nicht still sein können? Ausnahmsweise? Einfach den Mund halten, bis die Wissenschaftler zu Ende geforscht und die Experten getagt haben? Musste sie es raus posaunen: Dass BSE-Erreger auch in der Milch „nicht ausgeschlossen“ sind? Bauer Thomas Richter aus Brandenburg kriegt vor Wut rote Flecken am Hals: „Wenn die nicht ihre blöde Fresse aufgerissen hätte, wäre die Milch nie mit reingerissen worden. Aber jetzt geht es ans Eingemachte.“

Gäbe es Prämien für Entrüstung, hätten die Bauern Geld wie Heu. Seit Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) neue Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wurde, heißt der Weg zur Apokalypse: Schlimm. Schlimmer. Künast. Bauer Richter verfolgte mittags im ORB, wie Schröder den kugelrunden Funke gegen die schmallippige Künast austauschte, und war froh, dass er schon gegessen hatte. Künast ist nicht nur ein optischer Paradigmenwechsel. Die Rechtsanwältin aus Recklinghausen, die in Tegel als Sozialarbeiterin Gefangene betreute, auf Inline-Skatern die Siegessäule umrundet und Gummibärchen liebt (Achtung! BSE!), schleppt einen Fußbreit Großstadt so sicher ins Zimmer wie der Bauer den Mistgeruch.

Angst vor der Öko-Wende

„Wenn ich einen Bäcker will, suche ich mir keinen Elektriker“, sagt Bauer Richter und grinst, als er daran denkt, dass sie sich ja auch auf der Grünen Woche bewegen muss. Vielleicht lerne sie ja das, was er sechs Jahre studiert hat, in zwei Wochen. Genüsslich zitiert er einen Kollegen, dessen Schmähung in den Worten gipfelte: „Die kann ja nicht mal Trecker fahren!“ Als hätte Rudolf Scharping vor Amtsantritt Proberunden im „Leopard“ drehen müssen.

Doch Richters Attacken sind nur ein Pfeifen im Walde. Die Bauern haben Angst – seit zwei Monaten vor BSE, seit ein paar Tagen vor Renate Künast. Die neue Ministerin hat den totalen Umbruch angekündigt, die radikale Wende zur Ökologie. Weg mit den Agrarfabriken. Weg mit der konventionellen Tierhaltung. Zurück zu Natur, marsch, marsch.

Die Angst ist ins Büro von Bauer Richter im brandenburgischen Schwante gekrochen und hat sich unter dem Furnier, auf den alten DDR-Mauern ausgebreitet. Richter sitzt mit dem Rücken zur Wand vor einem runden Schreibtisch wie der Kapitän auf der Brücke der Titanic. In seinen Ställen stehen 2.400 Schweine und 250 Kühe, dreißig mehr als sonst, denn bei den niedrigen Rindfleischpreisen will er nicht verkaufen. Auf dem Tisch stapeln sich Broschüren der „Ferkelerzeugung Hessen“, der „Arbeitsgemeinschaft für Rationalisierung, Landtechnik, Bauwesen und Landwirtschaft“. Der Pharmariese Aventis bietet „Ideen für die Landwirtschaft“. „Ich weiß gar nicht, was das sein soll, eine Agrarfabrik“, sagt Richter trotzig.

Damals in der DDR, als er noch „Abteilungsleiter für Milch und Schweine“ einer „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft“ war, damals hatte er für dreimal so viele Kühe zu sorgen. Damals gab es Umweltauflagen, die keiner erfüllen konnte, und sie haben die Gülle einfach in die Landschaft gekippt. Als er nach der Wende seinen neuen Schweinestall gebaut hat, hagelte es Proteste der Anwohner. „Da müssen Sie Auflagen erfüllen wie für ein Endlager. Früher waren hier viel mehr Tiere, aber das will ja jetzt keiner mehr wissen“, sagt er. Im „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ züchteten die Bauern Milch- und Fleisch-kühe in einer Rasse, um Futter zu sparen, denn Sojaschrot und Tiernahrung aus dem Westen gab es nur gegen Devisen. „Wenn die Mauer noch wär, hätten wir kein BSE-Problem“, sagt Richter gallig, und man kann ihm nicht mal widersprechen.

Wenn die Ministerin nur käme und sich alles ansähe, müsste sie ihr Urteil über konventionelle Landwirte revidieren, glaubt er. Es wäre nicht weit von Kreuzberg bis Schwante in den Speckgürtel der Hauptstadt, wo die Kraniche rasten und die raureifbedeckten Felder in der Wintersonne gleißen, dass man die Augen zukneifen muss – eine natürliche Überbelichtung, die zur Stimmung passt. Er würde ihr den künstlichen See mit den Bibern zeigen, die Rehe, die wie angenagelt auf dem Acker stehen, die ganzen tausendfünfhundert Hektar altes LPG-Land, hochgewirtschaftet in zehn Jahren mit zuletzt einem Fünftel der Belegschaft, seit kurzem mit einer schwarzen Null am Ende des Geschäftsjahres und seit Ewigkeiten mit einem Berg Schulden. Den Landwirten im Westen geht es seit Jahren immer schlechter. Richter ging es nach zehn harten Jahren gerade etwas besser. Zuerst würde er mit der Ministerin auf die Wiese fahren, wo die Kühe grasen. Triumphierend lenkt er den Wagen durch den gefrorenen Matsch mitten auf die Weide. Die Kühe glotzen, Rotzfäden an den Nüstern. Sie werden nicht gemolken, sondern werfen nur Kälber für die Mast. „Die fressen, watt hier wächst, sonst nichts. Hier wird nicht gedüngt und nicht gefüttert, die loofen das ganze Jahr wie die argentinischen Rinder. Wenn das nicht öko ist, was dann?“, fragt er herausfordernd und steigt wieder ins Auto.

Die Kühe öko, die Schweine nicht

Es ist nicht „öko“, jedenfalls nicht offiziell. Dabei sind in Brandenburg viele „öko“. Nirgendwo in Deutschland ist der Anteil ökologisch wirtschaftender Betriebe so hoch wie zwischen Belzig und Frankfurt (Oder). Im Landkreis Dahme-Spreewald südlich von Berlin liegt er – als Folge einer gezielten Förderung in frühen Nachwende-Jahren – sogar bei zwanzig Prozent. Aber die hundert glücklichen Kühe von Bauer Richter machen noch keinen „Demeter“-Betrieb, wenn über zweitausend Schweine noch immer auf strohfreien Plastikplanken stehen, weil sich durch die Ritzen die Gülle so gut auffangen lässt. Trotzdem hat Richter vor ein paar Jahren probiert, ein Qualitäts- und Umweltsiegel nach der ISO-Norm zu bekommen. Doch da wollte das Land die Kosten für den Antrag nicht mehr fördern.

Richter stößt die Tür zum Kälberstall auf. Der Schuppen ist mindestens zwanzig Jahre alt, die Gatter sind schwarz vom Rost, vom Gebälk hängen Spinnweben. Doch die Kälberköpfe mit dem flauschigem Winterfell wackeln begeistert, dass die Ohren und die gelben Markierungen fliegen. Durch die Ritzen fallen Sonnenstrahlen und malen Goldflecken auf den Boden. Etwas Weiches, Braunes tobt durchs Stroh. Eine Bauernhofidylle. Richter guckt zufrieden: „Wenn sie so springen, geht es ihnen gut.“ In der Mitte des Gangs leuchten drei bunte Säcke. „Das sind die schlimmen Milchaustauscher“, sagt Richter ironisch. Milchaustauscher mit tierischen Fetten zur Kälberaufzucht überträgt vielleicht BSE. Richter könnte den Kälbern Milch geben. Wenn er die dreißig Kühe nicht demnächst verkauft, überschreitet er sowieso die erlaubte Milchquote. Aber noch ist der Milchaustauscher billiger.

„Meine Hand für mein Produkt“, so warb die DDR für Qualität. „Meine Hand für mein Produkt“, sagt der Bauer jetzt ironisch und ergänzt ernst: „Mein Fleisch ist gesund.“ Und BSE? „Das ist was anderes. Darüber kann keiner was sagen.“ BSE ist keine Krankheit. BSE, so sehen die Bauern das, kommt über die Höfe wie ein Fluch. Seit Beginn der Krise hat Richter nur vier Rinder verkauft, alle negativ getestet. In Brandenburg gab es bislang noch keinen BSE-Fall, aber das ist kein Grund zur Entspannung. Zum Glück kann man sich auch gegen Flüche versichern. Fünftausend Mark pro Jahr kostet Richter der Schutz gegen den Schadensfall Rinderwahnsinn.

Im knietiefen Stroh vor dem Stall drängen sich die Milchkühe. Als sie Richter sehen, erheben sie sich mit schwankenden Rieseneutern. „Kühe lieben die Kälte“, sagt er, „und seit ich den Auslauf habe, sind die Klauenerkrankungen fast ganz zurückgegangen.“ Drinnen, im Stall, ist kein Stroh, nur Schaumstoffmatten. Gelegentlich platscht ein heller oder dunkler Strahl auf den Schaumstoff. Hier warten die tragenden Kühe, die nicht mehr gemolken werden, auf die Geburt. Sind Schaumstoffmatratzen „artgerecht“? „Ja“, sagt Richter. Man habe Versuche gemacht mit Stroh, Sand und Schaumstoffmatten – und auf dem Schaumstoff seien die Kühe am längsten liegen geblieben. „Meine Kühe müssen sich wohl fühlen, damit sie die volle Milchleistung bringen“, sagt er. Man merkt, dass das Wort „artgerecht“ nicht zu seinem Standardvokabular gehört.

Richter ist kein Betonkopf. Schon bevor die Politik den Ökobauern als Retter der deutschen Landwirtschaft entdeckte, hatte er seine Pläne: Mehr Auslauf vor den Ställen und auf den eigenen Weiden, die eigenen Ferkel und Kälber züchten und mit dem eigenem Getreide füttern, wie er es bis vor einem Jahr tat, bevor die Mahlmaschine kaputt ging – so ähnlich klingt das auch bei den Bioland-Experten.

Die deutsche Durchschnittskuh macht den Melk-Stress zweieinhalb Jahre mit. Bei Richter werden die Tiere vier Jahre alt, sein Ziel ist das doppelte. Hofladen, Direktvermarktung, Stroh im Schweinestall – Richter kann sich vieles vorstellen. „Ich würde alles ändern, wenn ich es bezahlen kann“, sagt er. Soll das heißen, dass die Landwirtschaft zu wenig subventioniert wird? „Zu viel“, sagt Richter, „nur bei den Landwirten kommt nichts an.“

Aber nun soll ja alles anders werden. Und Richter hat nichts gegen mehr Werbung für Öko-Landwirte, gegen mehr Öko-Landbau insgesamt, und dass Renate Künast aus Deutschland keine „Öko-Insel“ machen könne, da sei schon die EU vor. Ihm ist alles Recht, wenn nur die „Hysterie“ aufhört. Renate Künast will zurück zur Natur. Richter will zurück zur Normalität.

Der undankbare Verbraucher

Nie standen die Bauern so im Rampenlicht wie jetzt, und nie waren sie politisch machtloser. Mit Karl-Heinz Funke ist ihnen nicht nur der Minister, sondern auch der alleinige Anspruch auf das Amt abhanden gekommen. Nun teilen sie sich die neue Ministerin mit den Verbrauchern. Doch der Konsument, für den sich Richter und seine Kollegen doch täglich krumm legen, erscheint ihnen undankbar wie eine Diva: „Jetzt heißt es: Wir müssen endlich mal gesunde Lebensmittel herstellen. Die Menschen werden so alt wie nie, das liegt doch nicht daran, dass sie nur Scheiße fressen!“

Doch der Konsument ist in der Mehrheit. Am Ende entscheide sich das Schicksal der Bauern doch an der Fleischtheke, und diese Perspektive jagt Richter mehr Angst ein als Renate Künast. „Solange die Leute für ein Schnitzel so viel Geld ausgeben wollen wie für eine Tube Zahnpasta, wird sich nichts ändern“, sagt er. Gestern hat er einen Experten im Fernsehen gehört, der habe gesagt, man müsse die Leute umerziehen und ihnen mehr Qualitätsbewusstsein beibringen. „Umerziehen!“, schnaubt Richter und schlägt die Tür zum Kuhstall zu, „das hat der Sozialismus vierzig Jahre lang versucht. Und hat das etwa geklappt?“