Die Auferstehung des Pompösen

Leichtfüßig die Schmerzgrenze überschreiten: Peter Hammill, einer der letzten Säulenheiligen des Progressive Rock sang im Quasimodo mit galligem Pathos über die Angst des Tiefseefisches vor dem Nachwuchs und über die große Einsamkeit. Der Mann: eine Legende. Seine Lieder: zutiefst emotional

von ARNO FRANK

Jenseits aller Hauptströme, im Brackwasser vergessener Genres, dort findet sich manchmal Musik, die monströs und stinkend ist wie ein gestrandeter Wal. Interessiert umkreist man den Kadaver. Und erschrickt zu Tode, wenn er plötzlich die Augen aufschlägt.

Schrecksekunden gab’s jedenfalls zur Genüge, als am Samstag einer der Säulenheiligen des an Säulenheiligen doch recht armen Progressive Rock die Bühne des Quasimodo betrat: Peter Hammill, in weißem Hemd zu weißen Schläfen, bestritt den Abend weitgehend an E-Piano und akustischer Gitarre. Begleiten ließ er sich lediglich von der elektrischen Geige seines alten Weggefährten Stuart Gordon. So spartanisch die Instrumentierung, so üppig ist das Repertoire, auf das Hammill zurückgreifen kann. Oder zurückgreifen könnte, wenn er wollte.

1967 gründete er, damals Student der Wirtschaftswissenschaften, zusammen mit Kommilitonen die Gruppe Van der Graaf Generator. Mit „The Aerosol Grey Machine“ erschien zwei Jahre später das erste Album, aber erst das Engagement des umtriebigen Produzenten Tony Stratton-Smith brachte moderate Erfolge: Der schickte die Band im Vorprogramm von Lindisfarne und den frühen Genesis auf Tournee, wo sie sich eine „Fanbasis“ erarbeiten konnte, die gerne „solide“ genannt wird. Junge, meist allein stehende Männer mit verdächtiger Affiniät zuschleierhaften Texten und mäandernder Musik.

Während aber die Konkurrenz von Yes bis E.L.P. ihre zunehmend eskapistischen Traumwelten aufspannte, sang Hammill mit tödlichem Ernst über die Sorgen eines Tiefseefisches, der von seinem eigenen Nachwuchs aufgefressen wird. Oder über Häuser ohne Türen. Über Totgeburten, seinen Gitarrenverstärker oder die Flüchtigkeit von Wasserstoff im schrecklich großen, schrecklich dunklen Universum. Immer also über Einsamkeit, mit existenzialistischer Skepsis und galligem Pathos. Leicht angejazzt, leicht autistisch, mit aufwändigen Arrangements und geschickter Dramaturgie. Songs also, die man „erklären“ kann, wenn man will. Und damit alles andere als Pop.

Und nichts anderes hat das Publikum im Quasimodo erwartet. Da gibt’s graue Pferdeschwänze zur Stirnglatze und Informatikstudenten, die sich die Zeit bis zum Konzert mit Terry-Pratchet-Büchern vertreiben. Leute eben, die „Psst!“ und „Verdammt noch mal!“ rufen, wenn in stillen Passagen gequatscht wird. Wo doch der Mann auf der Bühne eine Legende, sein Gesang ein zutiefst emotionaler ist: Vom verhaltenen Flüstern bis zum guturalen Kreischen zieht Hammill alle Register expressiver Sangeskunst, derweil Publikumsliebling Gordon zeigt, was man mit einer elektrisch verstärkten Geige so alles anstellen kann. Zum Beispiel leichtfüßig die Schmerzgrenze überschreiten, wo Hammills Furien zu Hause sind. Schließlich oszillieren auch die Solostücke ausschließlich zwischen den uncoolen Polen „betrübt“ und „zu Tode betrübt“, wechseln die Stimmungen von stillem Wimmern zu herausgebrüllter male angst. Entsprechend euphorisch wird dann auch das verhalten melodiöse „Still Life“ beklatscht, das einzige VDGG-Stück des Abends. „Jetzt machen wir eine kurze Pause und ziehen uns hinter der Bühne die Schlaghosen an!“, scherzte Hammill und machte es dann natürlich doch nicht.

Eine kleine Einführung in die Ökonomie der Verweigerung, die Auferstehung des Pompösen im Skizzenhaften. Wal, da bläst er.