Alles hat gestimmt

Todd Martin verhindert bei den Australian Open den Tennisklassiker Sampras–Agassi und sagt „sorry“

MELBOURNE taz ■ Es hat nichts mit seinen grauen Schläfen zu tun, dass man manchmal meint, er stamme aus einer anderen Zeit. Die Jungen brüllen, ballen die Faust, und manchmal führen sie sich auf, als sei die Welt nur für sie geschaffen worden. Weil er nichts von all dem tut, hat Todd Martin oft hören müssen, dass er ein Langweiler sei, doch damit kann er leben. Und auch dass er nun ein paar Leuten den Spaß verdorben hat, nimmt der 30-Jährige ohne Widerspruch in Kauf. Mit seinem Viersatzsieg gestern im Achtelfinale der Australian Open in Melbourne gegen den ein Jahr jüngeren Pete Sampras hat er etwas geschafft, was ihm mehr bedeutet als jedes vordergründige Lob. Nach dem dritten Sieg gegen Sampras im 20. Spiel, dem ersten nach knapp sechs Jahren, meinte er: „Es gibt kein besseres Gefühl, als zu wissen, dass ich heute etwas geschafft habe, was ich vorher noch nie getan habe. Selbst bei den beiden Siegen gegen Pete war ich nicht dazu bereit, es auf die richtige Art zu tun, doch heute hat alles gestimmt.“

Die Geschichten waren schon fast geschrieben mit der Vorschau auf das Viertelfinale zwischen Sampras und Agassi, den Klassiker in der 30. Ausgabe. Doch nach drei schweren Spielen zuvor, mit insgesamt mehr als neun Stunden in den Beinen, wirkte Sampras nicht mehr frisch genug. Ab Mitte des zweiten Satzes, so sah er es selbst, war Martin klar der bessere Mann. Von diesem Zeitpunkt bis zum Ende nach zweieinhalb Stunden ließ der nur noch eine einzige Break-Chance zu, und damit ist alles gesagt.

Todd Martin und Pete Sampras kennen sich ihr halbes Leben lang. So etwas muss Menschen einander nicht zwangsläufig näher bringen, doch das ist in diesem Fall anders. „Sorry“, sagte der Sieger zum Besiegten beim Handschlag am Netz, und hinterher erklärte er: „Wenn ihn schon einer schlagen muss, habe ich nichts dagegen, dass ich es bin, aber er hat mir leid getan, weil ich dachte, er hätte eine gute Chance, heute zu gewinnen und vielleicht auch das Turnier. Das nimmt mir nichts von meinem Vergnügen.“

Liegt nicht eine gewisse Verführung in der Sanftheit solcher Sätze? Doch Martin ist auch Realist. Auf die Frage, ob Sampras Zeit an der Spitze allmählich dem Ende zu gehe, antwortete er: „Ganz oben, wenn es um die Nummer eins geht: Ja. Allein deshalb, weil er nicht mehr alle Turniere spielen will, die dazu nötig wären.“

Nun denn, auch Andre Agassi hatte sich auf das Spiel mit Sampras im Viertelfinale gefreut. Seinen Anteil verdiente er sich mit einem Sieg gegen Andrew Ilie, obwohl er an diesem Tag offensichtlich das Gefühl hatte, nur der zweitbeste Künstler zu sein. „Andrew schlägt Bälle, von denen du nicht glauben kannst, dass sie ernsthaft jemand probiert. Er macht immer das Gegenteil von dem, was du erwartest.“ Doch Agassi verharrte nicht in der Position des heimlichen Bewunderers, und er verließ sich auch nicht darauf, der andere werde schon nachlassen; er selbst sorgte dafür.

Jener Mann, der Pete Sampras vor gut vier Monaten im Finale der US Open so frappierend klar besiegt hatte, verabschiedete sich kurioserweise am selben Tag wie der Meister. Marat Safin, der bis zum vorletzten Spieltag des vergangenen Jahres die Nummer eins gewesen ist, ehe ihn Gustavo Kuerten noch überholt hatte, sah müde aus und frustriert und verlor gegen den Slowaken Dominik Hrbaty. Nach dem Matchball verzierte er den Rahmen seines Schlägers mit einer Delle, die da normalerweise nicht hingehört, und in diesem Moment erinnerte er eher an den Safin vor einem Jahr als an Marat, die junge Nummer eins.

Nach der Nummer eins des Turniers (Kuerten) sind nun auch die Nummern zwei (Safin) und drei (Sampras) nicht mehr dabei, doch was wichtig ist aus anderer Sicht: Der beste Mann der Australier ist noch dabei. Patrick Rafter spielte bei weitem zu stark für den Briten Tim Henman und zog zum ersten Mal überhaupt in Melbourne ins Viertelfinale ein. Doch zum passenden Schluss fehlten ihm Technik und Kraft. Nur mit halbem Erfolg versuchte er sich an Andrew Ilies Trick mit dem aufgerissenen Hemd; so sehr er auch zerrte und zog, das Ding fiel nicht auseinander. DORIS HENKEL