Sperrige Geräuschkulissen

Verwegene Expeditionen, Ambient Noise und infernalisches Klirren: Medeski, Martin & Wood mit mannigfaltigem Jazz in närrischer Spielart in der Fabrik  ■ Von Andreas Schäfler

„We are rolling“, sagen Medeski, Martin & Wood das ers-te Stück ihrer neuen Platte an. Und man weiß nicht recht, ist das jetzt ein Hilferuf, weil es gleich anschließend so steil bergab geht und die Bremsen defekt sind? Oder bedeutet es vielmehr, dass man sie unbesorgt gewähren lassen soll in diesem Inferno klirrender Sounds? The Dropper macht jedenfalls auf Anhieb klar, dass sich dieses etwas andere Orgeltrio noch immer nicht aus der Hand fressen lässt.

Vor sechs Jahren katapultierte sich die Band, für unsereinen aus dem Nichts heraus, an die Spitze der Jazzszene. „Friday Afternoon In The Universe“ hieß das Programm, mit dem sie dann auch bald in Hamburg gastierte und das Westwerk-Publikum dankbar vermerken ließ, dass das Kürzel MMW nicht länger nur für Marius Müller-Westernhagen stand. John Medeski (Keyboards), Billy Martin (Schlagzeug) und Chris Wood (Bass) haben seitdem alles dafür getan, es als ihr eigenes Brandzeichen zu etablieren. Und wann hat Jazz, noch dazu von einer derart närrischen Spielart, zuletzt so viel junges Publikum hinter sich bringen können?

Die verbreitete Konjunktur für den Leslie-Groove der Hammondorgel mag der Band zu Beginn ihrer Karriere ganz nützlich gewesen sein. Allerdings malträtierte John Medeski sein fauchendes Möbelstück schon in den Anfängen so verwegen wie seit Garth Hudson von The Band niemand mehr. Gemeinsame Projekte mit so unterschiedlichen Rädelsführern wie John Scofield, Beck und A Tribe Called Quest machten MMW dann auch bei einem größeren Publikum bekannt. Die stattliche Anzahl ihrer Gefolgschaft und vor allem die fast rituelle Weise, wie diese in den USA ausgeübt wird, haben dortige Kritiker schon Analogien zur Aura von Grateful Dead selig ziehen lassen. Und die Anzeichen, dass solche Essenzen in den ansonsten schwer geheimen MMW-Rezepturen durchaus eine Rolle spielen, mehren sich von Platte zu Platte.

Auf The Dropper kommen so sperrige Geräuschkulissen ins Spiel wie noch nie. Einige davon grüßen sogar recht unverblümt zu den hypnotischen Trapeznummern von Jerry Garcia & Co. hinüber wie so manches, was man heute im Fach Ambient Noise einzuordnen pflegt. Und obwohl HipHop-Maestro Scotty Hard die Scheibe co-produziert hat, klingen MMW, selbst in den gewohnt gut ausgewuchteten Groove-Nummern, hippiesker denn je.

Das Gelände, auf dem diese Musik ihre Bahnen zieht, ist noch wenig erschlossen und im übrigen sehr coupiert. Folgerichtig schuftet Chris Wood am Bass, ich kann mir nicht helfen, so rustikal wie einst Phil Lesh. Und der Mann hinter der sprichwörtlichen Schießbude, Billy Martin, rackert sich lo-cker für zwei ab. John Medeski schlägt als Gebieter über Orgel und Samples zwar gern über die Stränge, pilotiert jedoch auch die verwegenste 5-Minuten-Expedition souverän zum Basislager zurück. Das heißt mit Namen „Shaklyn“ und ist das bandeigene Studio, wo auch Gäste (auf The Dropper unter anderem Marshall Allen, Marc Ribot und der Violinen-Veteran Charlie Burnham) willkommen sind.

Das bevorstehende Konzert werden MMW aber in trauter Dreisamkeit bestreiten. Hoffentlich wild entschlossen, ihr mannigfaches musikalisches Material um und um zu schichten, bis es so verboten klingt, als würden – Serviervorschlag im Promotiontext der Plattenfirma – „die Beastie Boys mit Ornette Coleman jammen“. Es besteht der begründete Verdacht, dass man sich von Medeski, Martin & Wood fast alles bieten lassen kann – meinetwegen dürfen sie sogar Reggae eindosen.

Mittwoch, 21 Uhr, Fabrik