Im serbischen Spiegelreich

■ Noch einmal für Peter Handke und vorläufig kein Ende: Im Thalia in der Gaußstraße hat heute Abend das umstrittene Stück Die Fahrt im Einbaum Premiere

„Es muss gezeigt werden, dass schon der erste Blick des Zuschauers gelenkt ist“, schrieb Peter Handke einmal, lange bevor auf dem Balkan der Krieg ausbrach. Dieses Credo ist seiner Poetik einbeschrieben: In seinen Dramen, Essays und Prosastücken geht es häufig darum, die Wirklichkeit vor ihrer medialen Zurichtung in Schutz zu nehmen. 1996 erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ Handkes Essay Gerechtigkeit für Serbien, in dem er erstmals öffentlich gegen die einseitige Verteufelung Serbiens im Bosnien-Krieg Stellung bezog. Was ihn umtrieb, war sein Wunsch, „hinter den Spiegel“ zu blicken und mehr in Erfahrung zu bringen als der, „der statt der Sache einzig deren Bild zu Gesicht bekommt“.

Handkes Äußerungen zogen eine polemische Debatte nach sich, dem Dichter wurden seine proserbische Einstellung, seine Sehnsucht nach einfachen Ursprüngen jenseits der Abbilder und schließlich sein Kalkül vorgeworfen, man unterstellte ihm, selbst äußerst geschickt im Umgang mit den Medien zu sein. Diese Vorwürfe verschärften sich 1999, als Handke während des Kosovo-Krieges in einem Interview (SZ vom 15.5.) die NATO-Bomben verurteilte, wiederum unter Hinweis auf die telegene Zurichtung der Geschehnisse: „Mit Bildern und Worten kann man am meisten schwindeln und am meis-ten verdienen. Niemand weiß, was im Kosovo passiert, denn niemand kann hinein . . . Die Flüchtlinge sagen doch alle das Gleiche. Muss das deshalb glaubhaft sein?“

Am 9. Juni 1999 schließlich hatte Handkes Stück Die Fahrt im Einbaum oder das Stück zum Film vom Krieg am Wiener Burgtheater unter der Regie von Claus Peymann seine Welturaufführung. Schon im Untertitel zeigt sich ein weiteres Mal die medienkritische Grundausrichtung an. Fast interessanter als das Stück selbst war denn auch der Medienrummel, schließlich war die Aufführung auch die letzte Inszenierung von Claus Peymann, der nach 13 von vielen Skandalen begleiteten Jahren in Wien seinen Abschied nahm. Erneut gingen Verrisse und Spott über den „serbischen Ritter“ von trauriger Gestalt nieder, dem vor allem vorgeworfen wurde, jedes Verbrechen von serbischer Seite als Produkt der westlichen Medien darzustellen.

Handkes Äußerungen gelangten nur noch kommentiert ans Ohr der Öffentlichkeit, und seinem Drama Die Fahrt im Einbaum erging es wie dem Krieg selber, kaum einer hatte es gelesen, geschweige denn gesehen, und alle sprachen darüber mit Meinungen aus zweiter oder dritter Hand. Jetzt, zwei Jahre nach den Nato-Angriffen, geben Hartmut Wickert und Michael Börgerding mit ihrer Fassung dem Publikum die Möglichkeit, einen neuen Blick auf das Stück zu werfen. Sie begreifen es als einen Versuch, gemeinsam mit den Figuren eine Sprache für den Krieg zu finden, einen Versuch, den sie als „Zurüstung für den Frieden“ verstehen.

Volker Hummel

Peter Handke: „Noch einmal für Jugoslawien. Fahrt im Einbaum“, Regie: Hartmut Wickert, Premiere heute Abend im Thalia in der Gaußstraße, Gaußstr. 190, 20 Uhr