Sirenengesang im Feuerofen

■ Jenseits der Grenzen zwischen E- und U-Musik: DJ Costa präsentiert heute „Fünfzig Jahre elektronische Musik“

Bekanntlich schafft Odysseus es mit einer List, den Gesang der Sirenen zu genießen, ohne in ihren tödlichen Bann zu geraten und an der Insel mit seinem Schiff zu zerschellen: Er verstopft die Ohren seiner Gefährten mit Wachs und lässt sich an den Mast fesseln. Die kritische Theorie interpretiert dies als Urszene dessen, was wir heute in der bürgerlichen Gesellschaft „Subjekt“ nennen: Das Selbstbewusstsein des vernünftig handelnden Odysseus basiert auf Selbstbeherrschung, auf Unterdrückung der anderen, trennt Arbeit und Genuss. Daran, so formulierte es Theodor W. Adorno, „erkrankt das abendländische Lied“, die Musik überhaupt. An aller Musik, die Genuss verspricht, ist demnach falsch, dass sie diesen nur durch Verzicht gestattet.

Das Versprechen der Sirenen ist heute Ideologie und wurde der Unterhaltungsmusik übertragen: auch und gerade, weil im heutigen Musikbetrieb Genuss und Arbeit technisch zusammenfallen. Ihr Genuss verlangt kaum noch die Anstrengung des Ohrs, um die Anstrengungen des Arbeitsalltags zu vergessen. – Das jedenfalls ist die gängige Deutung der Musik in der Kulturindustrie, wie sie von der kritischen Theorie vertreten wird.

Was passiert aber, wenn die moderne Musik wiederum ihrer berauschenden Klangwelt entkleidet wird, wenn die elektronischen Sounds nicht mehr Stereotypen bedienen und „nackt“ zu hören sind? Dann kehren wohl die Sirenen wieder, dann wird das Hören wieder auf die Probe gestellt, ob es der Gefahr des Genießens und Begehrens gewachsen ist – bei Karl-Heinz Stochkhausen, einem der Pioniere der elektronischen Musik, ist das der „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“.

DJ Costa nimmt diesen Titel einer Komposition von 1955/56 zum Motto einer kleiner musikalischen Reise durch die letzten fünfzig Jahre der elektronischen Musik, die er am Plattenteller präsentiert: Von der Musique concrete über die Soundscapes eines Brian Eno bis zu Oval und Terre Thaemlitz führt die Reise durch musikalische Landschaften, in der die Grenzen zwischen E und U langsam verschwinden. Schließlich nähern sich das brüchige Geflecht der frühen Klangexperimente eines Piere Schaeffer oder Stockhausen der Tanzbarkeit, bekommt rhythmische Strukturen. Der Genuss, der an diesem Abend versprochen wird, ist also allemal ein körperlicher; und die Reise wird schließlich wieder bei der Insel enden, auf der einst die bezaubernden Sirenen sangen. Mit Dias und Texten wird DJ Costa über diese Insel führen (wer denkt bei „Feuerofen“ nicht an die schöne Hölle, wie man sie zum Beispiel in den zerklüfteten Vulkanen Lanzarotes findet ...).

Roger Behrens

heute, 22 Uhr, Schilleroper