Jedermanns Buhmann

Sehnlichst erwartet von den Fußballfans, geht ab morgen die Saison in den Bundesligen weiter. Weniger sehnlich erwartet werden in den Stadien Leute wie Thomas Frank – der ist Schiedsrichter

„Es ist nur schwer zu erklären, warum mir das Pfeifen wirklich Spaß bringt“

von OLIVER LÜCK

Im Umkleidekeller am Hamburger Millerntor klappern die Stollenschuhe. Fangesänge schwappen dumpf herein. Manch ein Kicker starrt nervös auf seine Stiefelspitzen. Als Thomas Frank in seine Pfeife pustet und die Teams des FC St. Pauli und der Stuttgarter Kickers mit ernsten Mienen aus den Kabinen treten, ist der Unparteiische auch angespannt. Er weiß, was es heißt, jedermanns Buhmann zu sein. In nunmehr 19 Jahren hat sich Frank bis in die Zweite Liga hoch gepfiffen. In seiner zweiten Saison ist der 31-Jährige in Sachen Bundesliga-Fußball regelmäßig unterwegs.

Bevor der Referee allerdings im schrillgelben Jersey ins Karree läuft, muss er stets einige Stunden für die Vorbereitung investieren. Weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seine Spitzenschiedsrichter eicht, bereits einen Tag vor dem Anpfiff am Spielort zu sein, beginnt das Fußballwochenende für Thomas Frank und seine Assistenten Jörg Hielscher und Holger Henschel bereits am Sonnabendnachmittag mit der Anreise im ICE. „Wir sind keine Profis, aber professionelle Schiedsrichter“, sagt Hielscher. Der Arbeitgeber müsse daher stets mitspielen. Berufliche Einbußen sind kalkuliertes Risiko. Bis zu zwölf Tage des Jahresurlaubs opfert Thomas Frank seinem Hobby. Im richtigen Leben ist er Angestellter einer Versicherung. Die vom DFB bezahlte Aufwandsentschädigung von 3.000 Mark je Zweitliga-Ansetzung fällt bescheiden aus, nimmt man die Bedeutsamkeit seiner Aufgabe und die Spielergehälter als Maßstab.

Am Bahnhof werden Frank und seine Kollegen bereits erwartet. Andreas Bandt, Schiedsrichterbetreuer des FC St. Pauli, chauffiert das Trio ins Hotel und trägt von nun an Sorge, dass es den pfeifenden Gästen an nichts fehlt. „Ich gehe mit ihnen essen oder zeige die Stadt“, erklärt der 37-Jährige. Für einen kürzeren Bummel etwa, der üblicherweise am Abend vor dem Spiel ansteht, sei mittlerweile auch die Reeperbahn mit ihren Kneipen für die Gralshüter der Fußballregeln ein beliebtes Ausflugsziel. „Der Kiez ist kulturfähig geworden“ und werde schon lange nicht mehr auf das Rotlicht reduziert, so Andreas Bandt. Für gewöhnlich sei aber spätestens gegen Mitternacht Zapfenstreich, versichert er.

Sonntagmittag, noch sind drei Stunden Zeit, trifft das Gespann im Stadion ein. Die Qualität des Rasens, der Tornetze und Markierungen werden überprüft. In der Kabine liegen Wimpel, Anstecknadeln und Handtücher mit St.-Pauli-Aufdruck in dreifacher Ausführung bereit. Das sei bei jedem Verein üblich, erzählt Frank, so dass er „im Keller bereits einige Souvenirs angesammelt“ habe. Die intensive Vorbereitung beginnt rund 60 Minuten vor dem Anpfiff. Die Pfeifenmänner wechseln den feinen DFB-Zwirn mit ihrer Aufwärmkluft.

Pünktlich mit dem Anstoß setzen die „Collina raus“-Rufe ein. Diese muss sich Thomas Frank aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem glatzköpfigen Italo-Schiri immer wieder anhören. Als die Heimelf jedoch schnell mit 2:0 führt, werden auch die „Schieber“-Schreie und das „schwarze Sau“-Gebrüll leiser. „Doch jede Entscheidung, jede Situation kann die Stimmung kippen“, weiß der Hannoveraner aus 14 Zweitligapartien und 22 Erstliga-Einsätzen an der Linie. Als Fußball-Schiedsrichter hat man immer schlechte Karten, da jeder noch so verwirrte Zuschauer oder unterbelichtete Profi es besser wissen will.

Angesichts der Schimpftiraden sei „nur schwer zu erklären, warum mir das Pfeifen wirklich Spaß bringt“, sagt Frank. Als 23. Mann dürfe man gewiss kein „Sensibelchen“ sein und es stets allen recht machen wollen. „Zum einen geht das nicht, zum anderen bin ich dafür auch gar nicht da“, betont er. Ohnehin sei „der Gedanke des Fairplay verkommen“. Insbesondere den Profis seien zwar nicht alle, wie er glaubt, „aber zumindest viele Mittel recht, um erfolgreich zu sein.“ Vorab informiert sich Thomas Frank daher etwas genauer über Zweikampfmanieren, Schauspielkunst oder die Fallsucht mancher Akteure. Zudem müsse man stets wissen, was einen erwartet, verdeutlicht er: „Abstiegskampf oder Leckerbissen.“

Als Thomas Frank den Weg zum Duschraum weist, hat der FC St. Pauli die Kickers mit 4:0 vermöbelt. Nun gilt es für die Referees „einigermaßen sicher und sauber in die Kabine zu kommen.“ An diesem Tag kein Problem: Die Fangemeinde der siegreichen Heimmannschaft feiert – eine Stimmung, als hätten alle sechs Richtige. Doch auch eineinhalb Stunden nach Abpfiff ist die Partie für die Unparteiischen noch nicht zu Ende. Eigens aus München angereist, beurteilt DFB-Schiedsrichterbeobachter Manfred Amerell in aller Ausführlichkeit den gebotenen Pfiff. „Ich möchte mich mit konstant guten Leistungen für die Bundesliga empfehlen“, sieht Frank die Zweite Liga als Sprungbrett. Eine Karriere als Profi kann er sich jedoch nicht vorstellen. Auch dann nicht, wenn der DFB die Berufspfeiferei einführen sollte. Als „zu kurzzeitig und unvorhersehbar“ charakterisiert Thomas Frank den Alltag im schwarzen Höschen. Eine Verletzung könne seine Laufbahn ganz schnell beenden.

Eine seiner bislang unangenehmsten Erfahrungen machte Frank als Assistent während einer Bundesligapartie in der Leverkusener BayArena. Als vor über einem Jahr Werner Lorant sich wieder einmal benachteiligt fühlte und beleidigende Sätze geiferte, musste der Münchener Coach kurzerhand auf die Tribüne. „Die Menschlichkeit muss gewahrt bleiben“, disqualifiziert Frank derartige Selbstgefälligkeit.

Auch von Selbstdarstellern an der Pfeife hält er nichts, die Kommunikation mit den Kickern auf dem Platz hingegen empfindet er als umso wichtiger. Natürlich müsse man „auch mal dazwischenknallen, wenn es einer zu bunt treibt“. Doch klar ist: „Der Schiedsrichter sollte für Spieler und Zuschauer immer berechenbar bleiben.“