Pinochet: Von Demenz zum Dementi

Das erste Verhör des greisen Exdiktators von Chile brachte keine neuen Erkenntnisse. Reicht das für eine neue Anklage wegen Verbrechen zu Zeiten der Militärdiktatur? Oder wird Pinochet doch aus gesundheitlichen Gründen verschont?

SANTIAGO afp ■ Nach der ersten Vernehmung des chilenischen Exdiktators Augusto Pinochet muss Ermittlungsrichter Juan Guzmán Tapía entscheiden, ob er erneut Anklage gegen ihn erhebt oder das Verfahren einstellt. Experten rechnen mit einem weiteren langen juristischen Tauziehen. „Jede Entscheidung wird vor das Berufungsgericht und dann vor den Obersten Gerichtshof gehen“, sagt der Politologe Ricardo Israël, Direktor des Politik-Instituts an der Universität von Chile. „Und das kann Monate dauern“. Die Opfer-Anwälte wollten noch gestern den Erlass eines Haftbefehls gegen Pinochet beantragen.

„Ich habe niemandes Ermordung angeordnet“, sagte Pinochet laut unbestätigten Medienberichten während des Verhörs. Eine halbe Stunde lang soll er auf insgesamt acht Fragen des Ermittlungsrichters Guzman geantwortet haben, etwa auf die Frage, warum die Leichen der Opfer der „Todeskarawane“ nicht an die Familienangehörigen herausgegeben worden seien. Na ja, einige seien doch übergeben worden, bei anderen habe sich niemand gemeldet, und von einigen habe man auch die Identität gar nicht gekannt, weil es sich um „Subversive“ gehandelt habe.

Reicht das Verhör aus, um eine neue Anklage gegen Pinochet zu formulieren? Guzmán scheiterte damit bereits Ende Dezember aus formalen Gründen. Der Ermittlungsrichter versucht, Pinochet nachzuweisen, dass er „geistiger Urheber“ der „Todeskarawane“ war – ein Hinrichtungskommando, das einen Monat nach Pinochets Militärputsch im September 1973 in ganz Chile Oppositionelle ermordete.

Unmittelbar vor dem Verhör hatte ein medizinischer Gutachter erneut die Verhandlungsfähigkeit des Exdiktators bestätigt. Der attestierte Altersschwachsinn hindere den 85-Jährigen nicht daran, sich seiner juristischen Verantwortung zu stellen, sagte der Neurologe Luis Fornazzari. Der Arzt war selbst an der neuropsychiatrischen Untersuchung des Senators auf Lebenszeit beteiligt.

Pinochets für den Prozess relevantes Langzeitgedächtnis bezeichnete der Gutachter als intakt. Das offizielle Bulletin werde er wegen der Einstufung von Pinochets Demenz als „mittelschwer“ nicht unterzeichnen, so Fornazzari. Der Grad der Erkrankung sei allenfalls „leicht bis mittelschwer“. Pinochets Sprecher Guillermo Garín geht davon aus, dass der Greis nach den Ergebnissen der Untersuchungen nicht mehr angeklagt werden kann. Nach chilenischem Recht kann ein unter Demenz Leidender nicht zur Rechenschaft gezogen werden. „Die einzig schnelle Lösung wäre, wenn der Oberste Gerichtshof entscheidet, der alte Mann ist aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig“, ergänzt Israël. PKT