Die Giftwelle rollt weiter

Über 70 Menschen leiden unter Vergiftungen nach Zyanid-Verseuchung von Flüssen in Rumänien. Ein Betroffener schwebt in Lebensgefahr. Die Behörden vermuten Vorsatz

SUCEAVE/FALTENICENI taz ■ In Rumänien sind inzwischen mehr als 70 Menschen mit Magen- und Nierenproblemen in Krankenhäuser eingeliefert worden, weil sie nach dem Zyanidunfall Ende letzter Woche im Nordosten des Landes verseuchten Fisch gegessen hatten. Die meisten der Erkrankten sind Kinder. Ein Betroffener schwebt seit dem Verzehr von verseuchtem Fisch in Lebensgefahr und wird in einem Krankenhaus der nordostrumänischen Metropole Iasi auf der Intensivstation behandelt.

Der rumänische Regierungschef Adrian Nastase forderte in Bukarest strenge Maßnahmen gegen die Verantwortlichen für die Zyanid-Verseuchung. Rumänische Behörden vermuten, dass es sich um eine vorsätzliche Tat gehandelt hat.

Die Zyanid-Verseuchung war letzten Donnerstag durch ein Fischsterben im Fluss Siret in der Nähe der Stadt Falticeni entdeckt worden. In der Chemiefabrik Metadet lagern in mehreren Becken etwa 250 Tonnen Zyanide unter freiem Himmel. Acht Tonnen Zyanide sollen über das Flüsschen Somuz in den Siret gelangt sein. Bisher wurden infolge der Verseuchung 40 Tonnen toter Fisch aus dem Siret geborgen. Der Fluss fließt durch Nordostrumänien und mündet bei der Stadt Galati in die Donau.

Gegen zwei Firmen, die mit der Demontage der Anlagen in der stillgelegten Chemiefabrik Metadet beauftragt waren, wird ermittelt. Die Umweltbeauftragte des Kreises Suceava, Valeria Ditoiu, sagte der taz, dass schon seit längerem Zyanide aus den Becken der Chemiefabrik ausgeflossen seien, darunter auch in die Kanalisation und die Kläranlagen der Stadt Falticeni.

Die stillgelegte Fabrik soll nun von der städtischen Wasserversorgung und der Kanalisation der Stadt Falticeni abgekoppelt werden. Im Bürgermeisteramt der Stadt hieß es, die Trinkwasserversorgung sei nicht gefährdet. Keiner der Kranken, die derzeit in der Stadt in Behandlung seien, schwebe in Lebensgefahr.

Gestern erreichte die Zyanidwelle die Stadt Bacau in Mittelostrumänien. Dort wollten Behörden versuchen, sie durch Öffnung von Staudämmen an einem Nebenfluss des Siret zu verdünnen. Am Wochenende wird die Zyanidwelle die Hafenstadt Galati erreichen. Messungen der Umweltbehörden zufolge beträgt die Konzentration des Zyanids inzwischen nur noch etwa das Zehnfache des erlaubten Grenzwertes gegenüber einer 130fachen Konzentration letzte Woche am Oberlauf des Siret.

Vor einem Jahr waren bei dem bisher größten Zyanidunfall in Rumänien 100.000 Kubikmeter zyanidhaltige Giftschlämme aus einer Goldfabrik bei der Stadt Baia Mare in Nordwestrumänien in die Flüsse Theiß und Donau gelangt. KENO VERSECK