Im Netz der Intrigen

Mehr Beifall für Metzmacher als für den Regisseur: Travis Preston inszeniert „Boris Godunov“ an der Staatsoper  ■ Von Dagmar Penzlin

Manipulation ist aller Macht Anfang. Diese Annahme legt jedenfalls Modest Mussorgskijs Oper Boris Godunov nahe: machtpolitische Intrigen allerorten und mittendrin ein labiler Zar Boris, der nicht mehr Herr seines Gewissens ist. Der psychische Verfall der Titelfigur interessiert Regisseur Travis Preston weniger als die Frage nach den Mechanismen der Manipulation. Seine Neuinszenierung von Mussorgskijs Werk an der Staatsoper überzeugt allerdings nicht, bleibt sie doch letztendlich zu holzschnitthaft in ihren Bildern. Aufregender geriet da am Premierenabend das spannungsgeladene Dirigat von Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher.

Boris Godunov ist russische Monumentaloper pur und ein Meilenstein in der Operngeschichte. So gilt Mussorgskijs musikdramatisches Hauptwerk als ein erstes Beispiel für ein „Theater der Situationen“, das mehrere Geschichten schlaglichtartig erzählt, ohne die Einheit der Zeit unbedingt zu beachten. Die verwickelte Entstehungsgeschichte und verworrene Rezeption der Oper hat allerlei verschiedene Versionen hervorgebracht. An der Staatsoper spielt man jetzt eine Mischung aus Urfassung von 1869 und Originalfassung von 1872/74.

Das hat im Wesentlichen zwei Folgen: Während die Handlung einerseits – etwa im zweiten Akt – weiter komprimiert wird, fächert sie sich andererseits noch weiter auf als in der Urfassung. So entwirft der so genannte Polen-Akt auch eine Parallelgeschichte zum eigentlichen Geschehen rund um den Zaren Boris Godunov. Hier wie dort schmieden Intriganten ihre Ränke. Boris' Achillesferse ist zudem, dass er nur auf seinen Posten gelangen konnte, weil er den rechtmäßigen Thronfolger Dimitrij ermorden ließ. Oder zumindest meint er, dass es so war.

Wie schon 1999 bei der Hamburger Neuproduktion von Luigi Nonos Al gran sole carico d'amore greifen Preston und seine Ausstatterin Nina Flagstad tief in die Requisiten-Kiste der jüngeren und jüngsten Polithistorie, um die meis-ten Szenen zu symbolbeladenen Tableaus zu arrangieren. Weil diese Bilder zu plakativ und statisch geraten, bleibt auch die Aussage der Inszenierung insgesamt zu eindimensional und abstrakt. So zeigt das Team Preston/Flagstad beispielsweise die polnische Gesellschaft als amerikanisierte Indus-trienation. Und diese konsumfreudigen Polen schicken sich zum Schluss an, das orthodoxe Russland zu erobern. West frisst Ost. Irgendwie platt.

Dabei fängt der Abend eigentlich ganz vielversprechend an. Gleich im Prolog zeigt Preston, wie politische Inszenierung und damit Manipulation funktioniert. Scheinwerfer fangen die Massen ein, die auf Befehl um einen neuen Führer flehen. Doch nachfolgend herrscht meistens szenischer Leerlauf – die Personenführung bleibt schablonenhaft oder fehlt ganz. Schade, denn trotz der nichtlinearen Dramaturgie liefert Mussorgskijs Oper auch hochpsychologische Charakterstudien und Situationen.

Eine andere Unart des Regisseurs ist, Wendepunkte der Handlung noch durch vermeintliche Schockeffekte zu verstärken. So etwa, wenn der Chronist Pimen am Ende seiner Erzählung von der Wundertat am Grab von Dimitrij eine Leiche enthüllt. Unnötig: Denn dass Zar Boris zutiefst erschüttert ist und Pimen damit erreicht hat, was er wollte, verrät ohnehin die Musik.

Überhaupt die Musik. Sie macht wett, was man szenisch an diesem Abend vermisst. Denn Metzmacher lässt die Partitur Mussorgskijs in all ihren Facetten aufscheinen. Das Schroffe kommt ebenso zu seinem Recht wie das russische Melos (hervorragend: die Chöre). Und neben den Doppelbödigkeiten und dramatischen Steigerungen bekommt unter Metzmachers Leitung auch das bombastische Moment in dieser Oper eine subtile Note.

Sängerisch bot der Premierenabend durchweg passable Leistungen. Paata Burchuladze in der Titelrolle verließ sich zunächst zu sehr auf die Stimmgewalt seines Basses, fand aber im Laufe der Vorstellung zu den Zwischentönen, die seine Partie verlangt. Durch und durch begeisterte hingegen Yvonne Naef als ehrgeizige Marina.

weitere Vorstellungen: 1., 7., 9., 13., 15., 18. Februar, alle 19 Uhr, Staatsoper