Die Spur der Macht

Zwanzig Jahre nach der Verfilmung inszeniert Frank Beyer Ulrich Plenzdorfs Stück „Der König und sein Narr“ jetzt am Hans Otto Theater in Potsdam

von REGINE BRUCKMANN

Die Preußen sind wieder da. Hoch bemützt marschieren die Riesenkerls auf die Bühne des Hans Otto Theaters. Pünktlich zum 300-jährigen Jubiläum Preußens stehen sie dort Spalier, die Gamaschen am Bein und die rechte Hand am Gewehr. So was hat man in Potsdam noch zur Verfügung: richtige „Lange Kerls“, Hobby-Soldaten auch außerhalb des Theaters.

Potsdams Oberbürgermeister Platzek hält vor der Aufführung eine Rede: Geschichte, sagt er, ist unteilbar, man muss sie annehmen, wie sie ist, schließlich hat man nur eine. Das ist wie mit der eigenen Familie, man kann sich seine politische Vergangenheit eben nicht aussuchen. Die Idee von der Familie als Keimzelle des Staates hatte übrigens auch schon Friedrich Wilhelm der Erste: Erst kommt der Staat, dann die Manufaktur, dann die Familie.

Jemand wie Gundling hatte in keiner dieser wertvollen Institutionen einen Platz. Nach der Thronbesteigung des Königs, der nur Oberst genannt werden wollte, der Künstler und Gelehrte hasste und die Ritterakademie auflöste, hatte der arbeitslos gewordene Professor der Historie Jakob Paul Gundling eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder er würde sich gleich „im Spreestrohme ersäufen“ oder er machte sich zum Narren. Zum Narren des Königs.

Und so geschah es, auch wenn die Titel, die Gundling bekam, etwas anderes vermuten ließen: Freiherr, Commerzienrat, Hofrat, Kammerherr und Zeitungsvorleser im königlichen Dienst. „I’m the fool of the king“, sagt er an später Stelle des Stückes zu seiner zukünftigen englischen Frau, und die fragt auf deutsch: „Ich dachte, Oberzeremonienmeister?“ „That’s the same“, antwortet Gundling, „zumindest in Brandenburg.“

Thomas Neumann als Gundling hat sie von Anfang an, diese feine englische Art und diesen hohen nölenden, manchmal schwankenden Tonfall, in den er seine Herablassung kleidet. Der Mensch muss eine Haltung haben, auch wenn es ihm dreckig geht. Mit sensibler Arroganz schützt sich Neumann/Gundling vor dem absoluten Zugriff des Königs, aber seine äußere Haltung ist inwendig mit Weingeist gefüllt, und so lässt sich am Ende sagen: Nicht die Verhältnisse haben den Gundling ins Grab gebracht, sondern der Alkohol.

Die Geschichte dieser unappetitlichen Alliance zwischen Geist und Macht sind Autor Ulrich Plenzdorf und Regisseur Frank Beyer schon einmal gemeinsam angegangen. 1981 drehten sie nach dem Buch von Martin Stade für den SFB den Film „Der König und sein Narr“ mit Götz George und Wolfgang Kieling in den Hauptrollen. Das Thema lag nahe: Auch Frank Beyer war in der DDR mit seinen respektlosen Äußerungen der Staatsmacht unangenehm aufgefallen. Nach dem Verbot seines Films „Die Spur der Steine“ 1966 musste der Regisseur die Defa vorübergehend verlassen.

Am Schicksal des Jakob Paul Gundling, der vom König erhöht und zugleich erniedrigt wird, zeigen Plenzdorf und Beyer exemplarisch den Fall des Künstlers oder Intellektuellen, der zu lange glaubt, mit seiner Kritik die politischen Entscheidungen der herrschenden Macht beeinflussen zu können. Denn der König hört auf seinen Narren, aber nur so lange es ihm passt. Und dieser bezahlt seine Narrenfreiheit mit dem Verlust seiner Würde. Friedrich Wilhelm der Erste holt den Gundling in sein berühmtes Tabakskollegium, eine derbe Männerrunde, in der gesoffen und geraucht wird, was das Zeug hält, und hier, aber nur hier, ist des Soldatenkönigs Maxime außer Kraft gesetzt: „Ab jetzt wird pariert und nicht räsoniert!“

Dem Stoff hat die Umsetzung auf das Theater gut getan. Während der Film in weit schwingenden Bögen und kleinen holprigen Schlenkern Gundlings Lebensspur verfolgt, konzentriert sich das Stück auf die Antipoden König und Narr. Plenzdorf hat ordentlich gefeilt: Nun sind die Szenen pointierter und der Witz beißender, nun reimt sich Staatsfinanzen auf Firlefanzen und Substanzen. Die schwer melancholische Stimmung des Filmes wird noch in der Musik von Günther Fischer zitiert. In filmischer Manier schwelgen die Schalmeien aber nur in den Schwarzpausen für den Umbau, das Spiel selbst gibt sich schön trocken und milde ironisch.

Im Gegensatz zu Götz George, der im Film den Friedrich Wilhelm soldatesk herunterpoltert, ist Torsten Bauer in der Aufführung des Hans Otto Theaters ein rauer und naiver Kerl, der mit einer gemütlichen Strenge regiert, die man besser nicht unterschätzen sollte. Sein Befehl „Ihr sollt mich lieben!“ charakterisiert sein Verhältnis zum Gundling aufs Trefflichste.

Und in diesem Satz liegt vielleicht des Preußens Kern. Auf Anordnung zu lieben, was einen am Leben erhält und zugleich zerstören kann, die befohlene Verknüpfung von Neigung und Pflicht: Oh, welch preußische, wahrhaft staatstragende Tugend!

Die nächsten Aufführungen am 4. und 8. Februar, jeweils 19 Uhr. Hans Otto Theater, Am Alten Markt, Potsdam