pickpockets: Medien, Spielleiter und anderes Allzumenschliches
Buchstaben und Maschinen
„Eine Handvoll Techniker [. . .] ist für das Realisieren der Apparaturen verantwortlich, die in den kommenden Jahrzehnten den sofortigen Transport jeglicher Form von Information – Text, Ton, Bild, möglicherweise auch taktile und elektrochemische Stimuli – auf weltweiter Ebene ermöglichen sollen. Einige von ihnen entwickeln zu ihrer Tätigkeit einen positiven Diskurs, demzufolge der Mensch [. . .] seine volle Größe erst in der Vernetzung mit einer größtmöglichen Anzahl analoger Zentren finden werde.“ Anders als stumpfsinnige, befehlsausführende Technokraten wird diese intellektuelle Elite die kommende Medienwelt prägen. Jedenfalls erhofft sich das Michel Houellebecq in seiner Essaysammlung „Die Welt als Supermarkt“.
Die Welterklärungsangebote der Literatur und Geisteswissenschaften verlieren demgegenüber an Boden und an Bedeutung. „Einige Angehörige der literarischen Intelligenz reagieren auf den Verfall ihrer Definitionsmacht, indem sie sich verstärkt naturwissenschaftlichen Theoremen zuwenden.“ In seiner Studie „Buchstabe und Maschine“ untersucht Carl Wege auf diesem Hintergrund die literarischen Technikdiskurse in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“, in der DDR und in der Schweiz. Technik ist, so Weges Resümee, nicht nur literarisch stilfähig, sondern auch stilbildend.
Die Vernetzung des Menschen mit Technik, von der Houellebecq spricht, hat mit dem Kommunikationsmedium Telefon, aber auch mit dem Fernsehen bereits heute eine Allgegenwart erlangt, die so selbstverständlich wie fließendes Wasser geworden ist. Anders als dem Telefon sind sowohl der Technik als auch den Inhalten des Fernsehens immer schon kulturkritische Diskurse gewidmet worden. Rolf Parr und Matthias Thiele haben jetzt einen Reader mit dem etwas umständlichen Titel „Gottschalk, Kerner & Co. Funktionen der Telefigur – Spielleiter zwischen Exzeptionalität und Normalität“ herausgegeben. Spielleiter wie Gottschalk, Jauch oder Linda de Mol erscheinen als Arrangeure „des Zusammenspiels von lustvoller Durchbrechung des Alltags und der verschiedensten gesellschaftlichen Normalitäten bei gleichzeitiger Behauptung und Versicherung von Normalität“. Damit stellen sie unter den Funktionsfiguren des Mediums Fernsehen die komplexeste dar.
Die TV-Autoren Jens Klocke und Laabs Kowalski bezeichnen in ihrem meist witzigen, manchmal nur witzig gemeinten Buch „101 Gründe, kein Fernsehen zu gucken“ das Fernsehen als das debilste Medium der Welt. „Ein Medium, das z. B. einer Gestalt wie Hera Lind ein Forum bietet, steht kulturell betrachtet auf einer Stufe mit dem Lausen von Affen.“ Spielleiter, die bei Parr und Thiele mit wissenschaftlichem Ernst auf ihren Funktionsgehalt überprüft werden, bekommen hier sehr viel drastischer gesagt, was sie sind: Dünnbrettbohrer, die zu „medienglorifizierten Leitbildern der hiesigen Seniorenjugend“ avancieren und am Rand des Stupiditätslimits lavieren.
Eins der schönsten und interessantesten Bücher über das Spannungsverhältnis zwischen Literatur und den technischen Medien Fotografie, Film und Fernsehen ist Peter K. Wehrlis „Katalog von Allem“. Im legendären Orient-Express reiste der Autor 1968 von Zürich nach Beirut, vergaß seinen Fotoapparat und machte aus der Not eine Tugend, indem er „die Erinnerungsbilder dieser Reise statt mit der Kamera nun mit den Mitteln der Sprache“ anfertigte. „Alles, was er fotografiert haben würde [. . .], bildete er nun mit Wörtern ab“, wobei er sich an die selbst auferlegte Regel hielt, alle Eindrücke in einen einzigen Satz zu fassen, um den Momentcharakter des Fotos zu erhalten. Außerdem verzichtete er konsequent auf alle Satzprädikate, um den Eindruck eines Fotokatalogs zu suggerieren. Hier hat die fotografische Technik also tatsächlich literarischen Stil gebildet. Und da sich diese fotografische Ersatzhandlung in ausgesprochen präzisen, extrem verdichteten Sprachminiaturen bestens bewährte, machte Wehrli, Schriftsteller und Kulturredakteur beim Schweizer Fernsehen, sie zur Methode. KLAUS MODICK
Michel Houellebecq: „Die Welt alsSupermarkt“. rororo, 120 Seiten,12,90 DMCarl Wege: „Buchstabe undMaschine“. edition suhrkamp,237 Seiten, 20,90 DMJens Klocke/Laabs Kowalski: „101Gründe, kein Fernsehen zu gucken“.Serie Piper, 119 Seiten, 14,90 DMRolf Parr/Matthias Thiele (Hg.):„Gottschalk, Kerner & Co“. editionsuhrkamp, 266 Seiten, 21,90 DMPeter K. Wehrli: „Katalog von Allem“.btb, 415 Seiten, 20 DM
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