Wettlauf mit der Zeit

Im indischen Erdbebengebiet suchen die Retter fieberhaft nach Überlebenden

BHUJ rtr/dpa ■ Ermutigt von der Rettung weiterer Überlebender, haben Hilfsmannschaften im indischen Erdbebengebiet gestern die Suche nach Vermissten mit Hochdruck fortgesetzt. In der Stadt Bhuj nahe dem Epizentrum konnte eine 90-jährige Frau aus den Trümmern geborgen werden, unter denen sie seit dem Beben am Freitagmorgen begraben war. Nach Schätzungen kamen bei dem Beben der Stärke 7,9 auf der Richterskala im Westen des Landes mindestens 20.000 Menschen ums Leben. Indische Medien sprachen bereits von bis zu 30.000 Toten. Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee sagte bei einem Besuch in Bhuj, es sei schwierig zu sagen, wie viele Menschen bei dem Beben ums Leben gekommen seien. Die Zahl der Toten dürfe weder unter- noch überschätzt werden.

In dem betroffenen Bundesstaat Gujarat verbrachten zahlreiche Bewohner aus Angst vor neuen Nachbeben die dritte Nacht im Freien. Unter den Trümmern wurden noch Tausende Menschen vermisst. Die alte Frau berichtete nach ihrer Bergung, sie habe unter den Trümmern die Stimmen von zwei Überlebenden gehört. Soldaten sagten, die Frau habe in den Trümmern überlebt, weil ihr Kopf durch eine alten Nähmaschine geschützt worden sei.

In der Nacht zu gestern konnte eine junge Frau lebend aus den Trümmern befreit werden. Am Sonntag hatten in Bhuj britische Rettungshelfer einen Siebenjährigen und seine Mutter geborgen. Es bestehe noch Hoffnung, weitere Überlebende zu finden, sagte ein Retter. Nach dem schweren Beben vom August 1999 in der Türkei seien noch fünf Tage lang Verschüttete lebend befreit worden.

Weil die Bergung der Leichen nur langsam vorankommt, befürchteten die Behörden im Fall ansteigender Temperaturen den Ausbruch von Krankheiten. Vor dem Krematorium in der Stadt Ahmedabad bildete sich eine lange Warteschlange von Angehörigen. „Ich sitze hier seit Samstagnacht“, sagte ein Mann, der einen getöteten Verwandten bestatten wollte.

Den Überlebenden fehlt es an den dringendsten Versorgungsgütern. Es gibt weder Strom noch fließendes Wasser und nur wenig Nahrungsmittel. Lange Schlangen bildeten sich, wo Soldaten Trinkwasser aus Bottichen verteilten. Tausende Soldaten, Ingenieure und Ärzte sowie Rettungsexperten aus dem Ausland wurden inzwischen ins Bebengebiet gebracht. Das ganze Ausmaß der Schäden ist noch nicht abzusehen. Die indische Industrie- und Handelskammer (FICCI) bezifferte allein die Bauschäden auf rund 6,7 Milliarden Mark. Indiens Regierung hat die Weltbank um Hilfsgelder von 1 Milliarde Dollar und die Asiatische Entwicklungsbank um 500 Millionen Dollar zum Wiederaufbau gebeten.

Gestern kam es in Südindien zu einem Erdbeben der Stärke 4,3 auf der Richterskala. In der Metropole Bangalore gerieten nach Polizeiangaben viele Menschen in Panik, Berichte über Schäden gab es nicht.