Eine Struktur für das Chaos

In Indiens Erdbebengebiet bauen Nichtregierungsorganisationen eine Hilfsstruktur auf

AHMEDABAD taz ■ Der Staub vom Schlag des „Gotteshammers“, wie Erdbeben in Indien auch genannt werden, beginnt sich zu legen, und das Ausmaß der Katastrophe vom 26. Januar tritt allmählich zutage. Die Zahl der Opfer steigt weiter. Schätzungen sprechen von 20.000 Toten, doch im Land der großen Zahlen kommt bereits die nächste Zehntausendgrenze in den Blick. Ein NGO-Vertreter in Ahmedabad meinte, jede noch so fantastische Hochrechnung greife zu kurz.

Erste Berichte aus den ländlichen Bezirken der Kutch-Region zeichnen ein Bild der Zerstörung. Jenseits der Surajbari-Brücke auf dem Weg nach Kutch, 120 Kilometer vom Epizentrum entfernt, soll es keine unbeschädigte Baustruktur mehr geben. In der am stärksten mitgenommenen Stadt Bhuj ist die Altstadt völlig verwüstet, während die Häuser in den neuen Außenbezirken unbewohnbar sind. Die Verwaltung, die Behandlung der Verwundeten, die Schlafstätten und Küchen sind alle im Freien.

Die Stadt hat noch vier Generatoren und zwei zivile Satellitentelefone. Wasser wird mit Tankwagen geliefert. In den Dörfern ist etwa fünfzig Prozent der Bausubstanz vernichtet, aber ohne den gleichen Grad von Zerstörung menschlichen Lebens. Während der Nationalfeiertag am 26. Januar für viele Stadtbewohner das Todesurteil war – sie schauten sich die Militärparade im Fernseher an – war er für viele Dorfbewohner die Rettung, weil sie sich zum Hissen der Trikolore ins Freie begeben hatten.

In Bhuj fanden Suchhunde eines Schweizer Rettungsteams drei Tage nach dem Beben noch drei Überlebende. Doch allmählich bleiben die Lebenszeichen aus, und die Sicherung des Überlebens rückt in den Vordergrund. Es geht darum, die Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. In Kutch stapeln sich bereits Hilfsgüter, die aus ganz Indien und dem Ausland einlaufen. Doch mit Ausnahme der überlasteten militärischen Hilfe besteht keine Verteilstruktur. Die Zivilverwaltung ist weitgehend zusammengebrochen. Gemeinschaftsinitiativen gibt es keine, da Nachbeben die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Jetzt gewinnen die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) große Bedeutung. Hunderte von Freiwilligen des Hindu-Kaderverbands RSS pflegen Verwundete und versehen Leichenbestatterdienste. „Abhiyan“, ein Zusammenschluss von 14 NGOs in Kutch, muss ganz unten beginnen – bei der Bereitstellung von Unterkünften für die aus ganz Indien strömenden Freiwilligen. In Ahmedabad schlossen sich 25 NGOs zusammen, die den Fluss der wichtigsten Bedarfsgüter zu kanalisieren beginnen. Im Büro des „Centre for Social Justice“ stapeln sich gebrauchte Kleider, Wasserbeutel, aus Baumblättern gefertigtes Geschirr, Essrationen und Tabletten zur Wasserreinigung. Diese Güter helfen das unmittelbare Überleben zu sichern. Es fehlt jedoch auch eine medizinische Infrastruktur – vom Verbandsstoff und Operationstischen bis zu ganzen Spitaleinrichtungen. BERNARD IMHASLY