Pinochet wieder unter Hausarrest

Ermittlungsrichter Juan Guzmán erhebt erneut Anklage gegen Chiles Exdiktator wegen Morden und Entführungen und lässt ihn festsetzen. Auch Pinochets je nach Stand des Verfahrens schwankender Gesundheitszustand beeindruckt den Richter nicht

von BERND PICKERT

Noch fehlen die verschiedenen Berufungsinstanzen bis zum Obersten Gericht. Und doch hat Ermittlungsrichter Juan Guzmán mit seiner gestern bekannt gegebenen Entscheidung, Pinochet unter Hausarrest zu stellen und anzuklagen, ein deutliches Zeichen gesetzt. Pinochets Verteidiger haben angekündigt, gegen die Entscheidung vorzugehen.

Bereits am 1. Dezember hatte Guzmán offiziell Anklage gegen Pinochet erhoben. Weil aber das chilenische Strafrecht vorsieht, dass jedem Beschuldigten vor der Anklageerhebung rechtliches Gehör gewährt werden muss und Pinochet nicht mit Guzmán gesprochen hatte, konnten dessen Anwälte die Klage noch einmal zurückweisen lassen. In der vergangenen Woche hatte sich Guzmán mit Pinochet getroffen und ihn eine halbe Stunde verhört – damit waren alle formellen Anforderungen erfüllt, um nun erneut Anklage erheben zu können.

Beim konkreten Verfahren geht es nicht um die Gesamtheit der Klagen gegen den ehemaligen Diktator. Seit Pinochet im Oktober 1998 in London verhaftet worden war, sind insgesamt 214 Verfahren gegen Pinochet in Chile anhängig. In dem Fall, der jetzt zur Rede steht, geht es um die so genannte Todeskarawane – eine Gruppe von Offizieren unter Leitung des Generals Sergio Arellano Stark, die im Oktober 1973, einen Monat nach dem Putsch, von Haftanstalt zu Haftanstalt reiste und politische Gefangene ohne jedes Verfahren umbrachte. Da einige der mutmaßlich Getöteten niemals aufgetaucht sind, spricht die Anklage offiziell von 18 Verschleppungen und 57 Morden. Guzmán gegenüber soll Pinochet die Verantwortung für die Verbrechen abgelehnt haben: vielmehr habe Stark allein und eigenverantwortlich gehandelt. Er, Pinochet, habe von nichts gewusst. Für den Oberbefehlshaber und Junta-führer einer straff organisierten Armee, die gerade unter seiner Leitung einen weltweit beobachteten Militärputsch zuwege gebracht hat, klingt die Version wenig glaubwürdig.

Seltsam ist die unterschiedliche Einschätzung des Gesundheitszustandes des Diktators. Während er selbst stets Wert darauf legt, dass es ihm an nichts fehle, schon gar nicht an Verstand, beharren seine Anwälte und die untersuchenden Ärzte darauf, Pinochet leide an einer mittelschweren Demenz, sei also durchaus nicht mehr bei Sinnen und insofern verhandlungsunfähig. Demgegenüber steht die Aussage von ErmittlungsrichterGuzmán selbst, der nach seinem Verhör vor einer Woche hatte mitteilen lassen, dass Pinochet auf ihn einen „erstaunlich normalen“ Eindruck gemacht habe. Die neue Entscheidung Guzmáns dürfte den Gesundheitszustand des immerhin 85-jährigen Diktators erneut verschlechtern. Die Mitleidstour kommt inzwischen selbst bei strikten Pinochet-Gegnern an: Isabel Allende, die Tochter des 1973 ermordeten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende und sozialistische Abgeordnete im Parlament, drückte bereits Zweifel aus, ob so ein alter und kranker Mann denn noch ins Gefängnis gehöre.