Saubere Quellen

Die Entscheidung eines Investors hängt von den Informationen ab. Da diese oft von Unternehmen kommen, bleibt bei mancher Anlagen ein Restrisiko

Wer schon mal versucht hat, an relevante Daten darüber zu kommen, ob Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen, kennt die Schwierigkeiten dieses Unterfangens.

In den meisten Ländern – auch in Deutschland – beschränken sich gesetzliche Publizitätspflichten für Unternehmen ausschließlich auf ökonomische Kennziffern und klammern Daten über ökologische und soziale Leistungen aus. Deshalb unterliegen diese gesellschaftspolitisch wichtigen Handlungsbereiche nur einer freiwilligen Transparenz, und man hängt komplett vom „guten Willen“ der Unternehmen zu einer offenen Informationspolitik ab. Damit ist es allerdings nicht weit her. Insbesondere die mit der „Nachhaltigkeitsdebatte“ einhergehende Nachfrage nach sozialen Indikatoren trifft in Deutschland praktisch auf keinerlei Tradition. Die Bereitschaft von Unternehmen zur Preisgabe von Daten über Themen wie Gleichberechtigung, Partizipation oder Menschenrechtsverstöße ist entsprechend gering.

Ratingagenturen, die Unternehmensbewertungen für das ethische Investment vornehmen, sind jedoch auf genau solche Informationen angewiesen, um ihren Kunden richtige Anlageempfehlungen geben zu können. Auf der Suche nach geeigneten Informationsquellen bieten sich aber leider nur wenige Alternativen – und deren Qualität kann kaum begeistern. Die normalen Geschäftsberichte sind in ihrem Aussagegehalt aufgrund der deutschen Publizitätsgesetze fast ausschließlich auf Finanzdaten beschränkt. Spezielle Umweltberichte – fortschrittlicher auch Nachhaltigkeitsbericht genannt – haben ihren Feinschliff in der Kommunikationsabteilung erhalten, deren hoch dotierte Experten nur ein Ziel kennen: das Unternehmen in gutem Licht erscheinen zu lassen.

Untersuchungen haben belegt, dass selbst auf Grund von Öko-Audits angefertigte Berichte sehr unterschiedliche Qualität haben können. Die Berichterstattung der Medien ist weitgehend von den Pressestellen der Unternehmen unterfüttert, und etwaige „Branchenexperten“ haben häufig genug auch keine unternehmensbezogenen Informationen oder müssen vor dem Argument des „Geschäftsgeheimnisses“ kapitulieren.

Mehr oder weniger zähneknirschend gehen alle Ratingagenturen deshalb den gleichen Weg: Sie senden Fragebögen an Unternehmen, in denen die wichtigen Bereiche abgefragt werden, und hoffen auf möglichst zahlreiche und wahrheitsgemäße Antworten. Da die Bereitschaft der Unternehmen zu einer Antwort proportional mit der Anzahl der von immer mehr Gruppen verschickten Fragebögen sinkt, wird jeder Fragebogen, der ausgefüllt zurückkommt, gefeiert und als Beleg für eine erfolgreiche Recherche-Arbeit wahrgenommen.

Die Grundfrage, welche Verlässlichkeit denn Selbstauskünfte von Unternehmen in sensiblen Bereichen eigentlich haben, wird kaum noch gestellt und kann fast als Tabu der Branche gelten. Dabei sind doch zahlreiche Risiken dieses Verfahrens offensichtlich: Neben der üblichen Schönfärberei der Public-Relations-Abteilungen bietet sich insbesondere das Weglassen von Informationen an: Bereiche, in denen etwas Positives vorzuweisen ist, werden offen gelegt, Problembereiche aber verschwiegen. Wer diesen Trick bei der Selbstdarstellung nicht anwendet, wird bestraft: Eine ehrliche Angabe von Schwachstellen führt zu einer schlechteren Bewertung, die der Informationsverweigerer eventuell vermeiden kann.

Als ein Korrektiv für die ausschließliche Arbeit mit Selbstauskünften werden heute zunehmend die Informationen angegeben, die kritische Gruppen wie Umweltverbände oder kritische Aktionäre über Unternehmen herausfinden. In den relativ wenigen Fällen, wo diese Informationen zu den Kriterien der ethischen Unternehmensbewertung passen, kommt es dann zu einer interessanten Mutation von ehrenamtlich erarbeiteter und politisch gemeinter kritischer Information zur kommerziell verwertbaren Ware im Markt der „ethischen Anbieter“. Unabhängig vom tatsächlichen Anteil derartiger Informationen an der eigenen Arbeit, werden diese Quellen in der Selbstdarstellung von Ratingagenturen an prominenter Stelle erwähnt, da sie geeignet sind, vom Grundproblem der Informationsbeschaffung etwas abzulenken.

Über den tatsächlichen Anteil der Selbstauskünfte erfährt der Nutzer von Unternehmensbewertungen leider nur selten etwas. Und wenn, dann hat es den Charakter wie kürzlich in einem Projekt von CSR Europe (früher: European Business Network for Social Cohesion): In einer Unterzeile konnten die beteiligten Ratingagenturen die Aussage „Das Unternehmen bildete die Hauptquelle der Informationen“ mit „yes“ oder „no“ beantworten. Der Satz „100 Prozent der Informationen stammen von den Unternehmen selbst“ wäre wohl zu deutlich gewesen.

Auch in der Frage des Informationszuganges lohnt es sich, den Blick einmal über den nationalen Tellerrand zu werfen: In den französischen und belgischen Vorschriften für eine Sozialbilanz beispielsweise ist auch die Pflicht verankert, Kerninformationen zu sozialen Leistungen von Unternehmen zu veröffentlichen. Und mit dem amerikanischen „Freedom of Information-Act“ haben Bürger selbstverständlich Zugang zu Unternehmensdaten, die Behörden im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht erfassen. Bis dahin ist es in Deutschland wohl noch ein langer Weg. VOLKMAR LÜBKE