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Die US-Künstlerin Jenny Holzer arbeitet mit knappen Sätzen die Schrecken der Wahrnehmung auf. Ihre Sinnsprüche werden in Berlins Neuer Nationalgalerie von der Decke bis zum Horizont projiziert

Lernen durch Wiederholen: Nach dieser Formel funktionieren die Mandalas von Holzer auch im Alltag der Masenmedien

von HARALD FRICKE

Ein Sockel und ein Dach, die Wände aus Glas, das Ganze durch Stahlstützen und Marmorträger verbunden. Weniger ist kaum möglich: Für Mies van der Rohe war der letzte Auftrag ein „Haut-und-Knochen-Bau“. Nur selten sieht man Berlins Neue Nationalgalerie in diesem Zustand, irgendwo zwischen idealer Architektur und Kultstätte für Modernisten mit Transparenztick. Meistens wird der Raum in weiße Parzellen aufgeteilt, zuletzt für aufgeblasene Stöckelschuhfotos von Helmut Newton.

Dabei funktioniert auch die Kunst vor Ort am besten, wenn sie sich dem Minimalismus des Gebäudes unterordnet: Selbst das Wenige ist dann immerhin etwas. Der schottische Videokünstler Douglas Gordon hat sich auf diese Art Komplizenschaft am Bau eingelassen, als er vor zwei Jahren einen einzelnen Screen in der ansonsten leeren Halle installierte. Plötzlich spielte der von ihm unendlich verlangsamte John-Ford-Western nicht mehr auf der Leinwand, sondern schwebte als Tross der Cowboys und Indianer sehr erhaben durch den ganzen Raum.

Jenny Holzer ist noch weiter gegangen in ihrer Begeisterung für die Anschmiegsamkeit. Bei ihr bleibt die Nationalgalerie praktisch besenrein, während aus einigen dutzend Merksätzen die neue Leuchtschriftarbeit „OH“ in die Kassettendecke montiert wurde. Das schafft Probleme für den Autoverkehr, der auf der Potsdamer Straße von der weitläufig strahlenden Lightshow abgelenkt und schlimmstenfalls angezogen wird. Das schafft auch Probleme für Klaus-Peter Schuster, den Direktor der Nationalgalerie, der in Holzers Beitrag eine Ausstellung „to end all exhibitions“ sieht. Natürlich wird es schwer, den Raum wieder überzeugend mit gewöhnlichen Exponaten zu füllen, wenn man ihn zuvor wegen der größeren künstlerischen Wirkung leer gelassen hat.

Haut und Knochen also und dazu Schrift. Bei Holzer führt diese Kombination auf eine Spur des Schreckens, die sich den Körpern eingeschrieben hat. Ein Großteil ihrer kurzen Texte sind Aussagen über den Tod, über gescheiterte Beziehungen, über Kindesmissbrauch – „My legs were smothered after sex when I was a child“. Es sind verknappte und doch intime Beschreibungen von Wahrnehmung, die sich mit Statements zum Voyeurismus abwechseln: „Mein Blick tastet dich ab“, das klingt unheimlich bei einer Künstlerin, die ihre Kommentare zu Vergewaltigungen im Bosnien-Krieg für das Magazin der Süddeutschen Zeitung mit echtem Blut drucken ließ. Manchmal entdeckt man zwischen lauter Klagen doch noch Liebe: „Ich atme dich ein“ ist so ein Satz, der schnell vergeht im Sog der digitalen Lichtpunkte.

Für den Philip-Morris-Konzern, der Holzers Berlin-Aufenthalt im Rahmen eines Fellowship der Amercian Academy ermöglicht hat, ist die Moral hinter den Buchstaben ausbaufähig. Die Einkünfte aus dem Katalogverkauf zur Ausstellung sollen an einen Fonds gehen, der „Gewalt gegen Frauen“ aufhalten möchte. Das Geld wird in eine „Hotline“ investiert, bei der „möglichst viele Frauen“ anrufen sollen, wie es zur Pressekonferenz hieß. Besser wäre wohl, wenn sich möglichst wenige Frauen melden – oder müssen Unternehmen der Größenordnung von Philip Morris immer expansiv denken?

Holzer, Jahrgang 1950, verdankt ihre Popularität dagegen der strengen Ökonomie, mit der sie Worte, Sätze, Zeichen anwendet. In den Siebzigerjahren klebte sie Agitpropplakate, weil der Feminismus auf der Straße zu Hause sein sollte und nicht im Museum. Der Betrieb mochte sie trotzdem: Ein Jahr nach ihrer Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum durfte sie die USA 1990 auf der Biennale repräsentieren. Mittlerweile markieren Holzers simple Slogans nach Art eines „Protect me from what I want“ die Hamburger Kunsthalle ebenso wie das Nordportal am Reichstag, wo die Abgeordneten beim Eintritt per Grußbotschaft an ihre demokratischen Pflichten erinnert werden.

Lernen durch Wiederholen: Nach dieser Formel funktionieren Mandalas von Holzer – und fügen sich deshalb hervorragend in den kommunikativen Alltag der Massenmedien. Mit der Ausstellung in Berlin kehrt sich das Verhältnis um. An Stelle des Lernens wird der Besucher vor allem überwältigt. Das Tempo, mit dem die Texte über den Kopf hinwegfegen, macht beim Zuschauen schwindelig; längere Wortketten mit kompliziertem Satzbau kann man kaum entziffern. Ohnehin sind etwa Holzers zwischen 1977 und 1979 entstandene „Truisms“, von denen einige für Berlin ausgewählt wurden, bis zur Unkenntlichkeit allgemein gehalten: Wer würde nicht Sätze wie „Machtmissbrauch kommt nicht von ungefähr“ bedenkenlos unterschreiben? Früher galt diese Unentscheidbarkeit als Aufforderung, über Subjektivität und Ambivalenz nachzudenken. Heute führt Holzers Sinnspruch „Beim Träumen ist man unschuldig“ vor, wie angenehm sich die alten Fragen nach dem Kontext in ultimativem Werbenonsens oder im Rebirthing-Tank auflösen lassen. Dann wird es richtig lustig, wenn man „Privateigentum führt zu Verbrechen“ einfach umdreht.

Es geht auch ganz ohne Bedeutung. Wer will, kann sich dem Zeichenfluss hingeben und über den bloßen Hightech-Event staunen, den Holzer dermaßen dezent installiert hat. Auf 13 Leuchtdiodenbahnen werden jeweils gleiche Sätze in unterschiedlicher Geschwindigkeit projiziert. Daraus ergeben sich hübsche Effekte, die strahlenförmig beschriftete Decke driftet zu den Rändern hin auseinander. Zusätzlich spiegelt sich das Ensemble durch die vier Glaswände nach außen ins Ungefähre. Geradlinig steuert die bernsteinfarbene Schrift ins Nichts, schießen die Wörter wie glühende Pfeile schon nachmittags um fünf ins Dunkel zwischen Philharmonie und Potsdamer Platz. Auf einmal erscheint nicht nur das Museum offen, auch das Kunstwerk verschmilzt für Momente mit dem Horizont. Und das ist allemal ein schönes Bild: Es gibt keinen festen Ort für Gedanken.

Bis 16. 4., Neue Nationalgalerie, Berlin; ein Katalog ist in Arbeit.