kuhlbrodt berichtet
: Die Berlinale ist ein Schaufenster für Stars – und für die Filmförderung

Selbst konsumierender Kannibalismus

Die ersten beiden sind die Schwimm-Tage. An die 700 Filme, da kann man sich gut tragen lassen. Bis man weiß, wo man landet. Das gilt allerdings nicht für Detlef Kuhlbrodt und die anderen Berliner. Die sind privilegiert und hatten schon vorher Pressevorführungen satt. Aber ich bin Dietrich und nicht von hier, und vorher gesehen habe ich nur Ridley Scotts „Hannibal“, in der Originalversion. Richtig toll geschnitten ist das Kampfschweinescharfmachen. Was die Viecher aggressiv macht, ist ein Menschen-Dummy, der Todesschreie ausstößt. Wenn dann statt der Puppe ein echter Mensch Beute ist, gibts a) den Pawlowschen Schweinereflex und b) eine Größtaufnahme vom Beißrachen aus der Opferperspektive, dass einem die Hauer rechts und links die Ohren quetschen. Das hat schon was. Der Effekt bleibt aber ziemlich isoliert in einem Gepränge, das wohl nur den Zweck hat, den paar Splattereien des Films den Kunstbonus zu verschaffen.

Den „Hannibal“-Vorgänger „Schweigen der Lämmer“ hatte vor zehn Jahren eigentlich ausgezeichnet, dass er den Zuschauer, statt ihm derbe Effekte vorzuknallen, zur Eigenproduktion von Angstfantasien ermunterte. Aber ich gerate hier schon in die Filmkritik, die Donnerstag nächster Woche sowieso aus befugter Feder in dieser Zeitung zu lesen sein wird.

Außerdem: Drei Tage nachdem der Film auf der Wettbewerbsschiene außer Konkurrenz zu sehen sein wird, kommt er eh ins Kino. Für Dieter Kosslick, den designierten Leiter der Berlinale, der sich ja im Moment mit Äußerungen zu seinem zukünftigen Job zurückhält, ist das was Überlebtes: das Festival als „Startrampe“ und Werbung für den direkt nachfolgenden Kinostart. Da denkt Kosslick vielleicht zu wenig an die Festivaldirektion, die doch dringend Glamour braucht.

Die Qualität von Filmfesten wird von alters her nach der Quantität der erscheinenden Stars bemessen. Ein bisschen wie in der UFA-Zeit. Sir Anthony, seit „Schweigen der Lämmer“ auch Hannibal-the-Cannibal, wird also nach Berlin kommen, und wenn ich das Ressort „Leute“ betreute, würde ich tolle Sachen berichten, was er mir alles gesagt hätte. Die deutsche Version des Films werde ich mir am 11. oder 12. Februar vielleicht trotzdem angucken.

„Hannibal“ hat nun den Festivalbonus. Reicht das für die Freigabe ab 16, oder fehlt was in der deutschen Fassung? Und ist das nun selbst konsumierender Kannibalismus oder nicht, wenn Doktor Lecters Gast das eigene, frisch gebratene Hirn verzehrt, die Schädeldecke hochgeklappt, direkt in die Pfanne? Dann kämen wir in die pädagogisch wertvolle Kapitalismuskritik – Fragen über Fragen in den ersten Tagen.

Lauschen wir lieber Dieter Kosslick und dem, was er noch in seiner Eigenschaft als Chef der NRW-Filmstiftung von sich gegeben hat. „Nicht jeder Film gehört ins Kino“, sagt er. Ja, wie? Werden wir in den Festivaltagen Filme nur deswegen sehen, damit die Filmförderung sieht, dass der Film gesehen worden ist? Bestimmt nicht, da sind die Auswahlgremien vor. Denke ich doch. Jedenfalls nutzt der WDR die Berlinale, um 13 Filme auf die Leinwand zu bringen, Dokumentationen von Künstlerschaffen und B-52-Flügen. Wir schulden den Redakteuren Respekt und registrieren, dass ihnen das Kino was wert ist.

Wenn ich durch die ersten Festivaltage schwimme, hätte ich aber gerne was zum Festhalten, etwas, das eventuell nicht so schnell im Fernsehen zu sehen ist. Ich denke da an die Empfänge der internationalen schwul-lesbischen Festivalmacher am 14. Februar um 20 Uhr im SO 36 sowie der evangelisch/jüdisch/katholischen Kirchen am 15. Februar 11 Uhr in der St. Matthäuskirche im Kulturforum und der 45 Goethereferenten zum Goethefrühstück im Goethe-Institut, Neue Schönhauser Straße 20 am 10. Februar 10.30 bis 12.30 Uhr. Ob ich den einen oder anderen Leser oder die Leserin dort treffe? Dies alles sind alljährliche, verlässliche, fixe Termine, Planken unter den Füßen unsicherer Besucher der ersten Tage. Und wohin geht dann die Fahrt? Zum geschlossenen Empfang des Kinofests Lünen am 13. Februar im Restaurant Bovril, Kurfürstendamm? Gibt’s da Hirn?

DIETRICH KUHLBRODT