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Sternstunden für den Ikonologen

Rembrandt goes Internet: Mit „H-ArtHist“ hat die Kunst- und Kulturwissenschaft ihre erste Non-Profit-Homepage

Das Nette am Internet ist, dass es gelegentlich wie ein Treppenhaustratsch funktioniert: Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Oder zum Sex. Wo früher Bilder nackter Damen unterm Tisch kursierten, schaut man heute im Netz nach entsprechenden Links zu toleranten Webcams. Allein solche gesellschafts- und kulturhistorischen Entwicklungen, die nun Digitalbilder produzieren, wären daher für Kultur- und KunstwissenschaftlerInnen Anlass genug, sich mit dem Medium Internet auf seinem eigenen Terrain auseinander zu setzen.

Die besten Voraussetzungen, diesbezüglich gleich zwei Stufen mit einem Schritt zu nehmen, bietet die erste spezielle Homepage für KunsthistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen. Unter der Adresse www.arthist.net ist eine Seite ans Netz gegangen, die sich als Diskussionsforum versteht und qua Elektronik „direkt und umstandslos“ Plattform für aktuelle Forschungsfragen sein möchte. Aber auch für Rezensionen zu Ausstellungen, Büchern und Kongressen, bei denen bisher Magazine wie die kritischen berichte oder auch Texte zur Kunst für die Popfraktion unter den KunstwissenschaftlerInnen nur nachziehen konnten – während die Themen in den Feuilletons längst verhandelt und die Ausstellungen abgebaut sind.

Dass man sich bei „ArtHist“ zunächst nicht mit der Bilderwelt im Netz, geschweige denn Cyberpornografie beschäftigen wird, liegt in der Natur der Kunstwissenschaft: Alles Neue und Nackte wird nur dann wahr und ernst genommen, wenn es sich ikonografisch in Religion oder Mythologie oder die entsprechende Folgegeschichte verpacken lässt. Tatsächlich verspricht die Namenliste des so genannten wissenschaftlichen Beirats der Seite zwar Kunstgeschichte der unterhaltsameren Art, aber eben doch kanonisierte Wissenschaft aus dem universitären Elfenbeinturm.

Die unter anderen von Hans Belting und Heinrich Dilly 1986 herausgegebene „Einführung in die Kunstgeschichte“, die mit Kapiteln zum sozialgeschichtlichen und feministischen Ansatz immerhin auch Ränder des Fachs abdeckt, wird noch heute jedem Erstsemester ans Herz gelegt. Und daran wird auch das Netz nicht viel ändern: Bisher haben Belting und Dilly nicht mehr als ihren guten Namen für die Seite zur Verfügung gestellt. Nur der niederländische Kunsthistoriker und Rembrandt-Experte Gary Schwartz beteiligt sich als Beirat aktiv an dem Netzprojekt. „Er macht immer wieder Vorschläge, wie man die Seite verändern und noch verbessern kann“, sagt Claudia Sedlarz, eine der fünf jungen KunstwissenschaftlerInnen und Mitinitiatorin der Seite. Sie moderieren die Diskussionen und betreuen die Seite redaktionell.

Dort empfängt einen zunächst eine lesende Frau, die sich an den Buchstaben H von ArtHist anlehnt, in einem großen vierfarbigen Bilderrahmen. Nur links im Hintergrund schimmert schwach ein Gemälde. Die Beine der Lesenden werden vom Untertitel „kunstgeschichte im h-net“ abgeschnitten, der Rest des Bildes bleibt weiß und unvollendet. Der Rahmen beginnt sich erst zu füllen, wenn man ihn auf seinen vier Segmenten „Information“, „H-ArtHist“, „Sammlung“ und „Forum“ anklickt.

In den Bereichen „Information“ und „ArtHist“ erfährt man dann, dass H-ArtHist dem Äitsch-Net (H-Net) angehört, einem an der Michigan State University in den USA gegründeten Netzverbund von geisteswissenschaftlichen Listen aus dem Non-Profit-Bereich. Durch das H-Netz, das zur Zeit mehr als 90 wissenschaftliche Mailinglisten weltweit unterstützt, wird auch die E-Mail-Liste des H-ArtHist bereitgestellt. Hier zeichnen Kultur- und KunsthistorikerInnen und Studierende gegen, die zukünftig per Datensätze über ihr Fach diskutieren oder einfach nur informiert sein wollen.

Darüber hinaus wächst im „Forum“ das Archiv der Beiträge und eine Nachrichtenbörse. Selbst das Monatshoroskop für KunsthistorikerInnen hat dort als mögliche Kolumne seinen Platz: Die könnte zum Beispiel das erste Mal für Werner Busch, Professor für Kunstgeschichte an der FU Berlin, ebenfalls Beiratsmitglied und noch ohne eigenen Computer, in den Sternen lesen. Der hat nämlich noch keine Ahnung, worum es bei der neuen Netzunternehmung wirklich geht: „Aber wenn’s passiert, kann ich vielleicht was dabei lernen!“, sagt er. Und was sagen die Sterne? Vielleicht, dass es sich um mehr handelt als um Kunstwissenschaft nach Daten. Dass sich auch für den Professor im Netz ungeahnte Bilderwelten und Themen eröffnen – wenn er sich mal drin verläuft. PETRA WELZEL

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