Der freundliche Wahn

Schön bunter Wohlfühlraum für Kenner: Die Künstlerin Evren Tekinoktay zeigt ihre Vorstellungen von Feminismus zwischen Liebe zur Mode und Überforderung durch Mutterschaft in der Galerie Zwinger

von OLIVER KOERNER VON GUSTORF

In den frühen Morgenstunden des 11. Februar 1963 nahm sich die amerikanische Dichterin Sylvia Plath in ihrer Londoner Wohnung das Leben. Sie stellte ihren Kindern Milch und Brot neben das Bett, öffnete die Fenster, und versiegelte die Tür des Schlafzimmers. Dann ging sie hinab in die Küche, drehte die Gashähne auf und bettete ihren Kopf auf ein gefaltetes Tuch in den Backofen. Plaths autobiografischer Roman „Die Glasglocke“ offenbart die Depressionen, den Zorn und die Todessehnsucht, die sich hinter der Frauenrolle ihrer Generation verbargen.

„There once was a woman who put her head into an oven“ heißt die erste größere Einzelausstellung von Evren Tekinoktay, die jetzt in der Zwinger Galerie gezeigt wird. Der Titel spielt nicht auf Plaths Tragödie an, sondern verweist ganz lakonisch auf Tekinoktays eigene Gefühle der Überforderung, die sie angesichts der Geburt ihres Kindes und der bevorstehenden Ausstellung erlebte. Er könnte ebenso die Beschreibung einer ganz einfachen Handlung sein: Es war einmal eine Frau, die ihren Kopf in einen Ofen steckte.

Eben hier beginnt Tekinoktays Arbeit, zwischen den Konstellationen, Bildern und Beziehungen. Die Frauencharaktere, die ihre collagierte Ausstellung bevölkern, schwingen sich als kostümierte Agentinnen von Dekade zu Dekade, pendeln durch Kulturen, Medien und Geschichten. Sie sind aus Comicstrips, gefundenen Fotos, eigenen Aufnahmen, Filmen und Magazinen reproduziert worden – wieder und wieder kopiert, abgezeichnet, gemalt, multipliziert. Ungerührt posieren sie als ausgebleichte Pin-up-Girls in Leuchtkästen, blicken schattengleich von Patchworkdecken, verschwimmen in den Unschärfen eines Schnappschusses.

Zwischen dem Tod der Dichterin und der Show der 28-jährigen türkischstämmigen Dänin scheinen Jahrzehnte weiblicher Identität, Modewelten und Revolten wie eine imaginäre Projektionsfläche zu liegen. Lipgloss, Patchouli, Lurex und Prozac – die künstlerische Manipulation von Frisuren, Kleidung, Posen und Make-up der letzten Dekaden wird von Tekinoktay wie ein mädchenhaftes und zugleich malerisches Ritual zelebriert. Wenn sie ihren Figuren die Taille einschnürt, ihnen überdimensionale Afro-Perücken aufsetzt, sie duchschneidet und spiegelt, sie zu kegelförmigen Gebilden oder fleischfarbenen Flecken mutieren lässt, setzt sich das in den ornamentalen Motiven fort, die ihr postfeministisches Panorama vervollständigen.

Was ihr in dem 1999 erschienenen Band „Sisters in the constant lazy travel“ als assoziative Bildgeschichte gelang, scheitert jedoch im Ausstellungsraum. Hier schafft Tekinoktay Erwartungen, die sie nicht einlösen kann. Die an Mike Kellys „Felt Banners“ oder Raymond Pettibones Zeichnungen erinnernden Arbeiten, ihre Stofffestung oder die mit Perücken und Haarfotos beklebte Box vermitteln den Eindruck, sie fürchte sich vor ihrer eigenen Kraft. Der Ausstellungsaufbau ist zum retroästhetischen Zitat der Kunstszene der späten 80er geworden – ein bunter Wohlfühlraum für Kenner, die das mit einem freundlichen Schmunzeln quittieren.

Wäre da nicht noch die Eule. Das lichtscheue, ungesellige Wesen, das Tekinoktay als mystisches Motiv der Bedrohung einsetzt, verweist auf den Sprengstoff, der diese Kunstidylle zerstören könnte. Er liegt in jenem Bekenntnis zur Manie, die auch Sylvia Plath in ihren Worten antrieb und die sich in dem unverwechselbaren Duktus von Tekinoktays malerischen und zeichnerischen Gesten äußert: „Ich weiß nicht, ob ich die Malerei aufgegeben habe oder sie mich“, sagt die Künstlerin. Würde die Malerei sie wieder in die Arme schließen, könnte das Ergebnis sensationell werden.

Bis 10. März, Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Galerie Zwinger, Gipsstraße 3