London baut an der Festung Europa

Pünktlich zum Treffen der EU-Innenminister fordert Großbritannien eine Verschärfung der europäischen Asylpolitik. Der Grund: Da London das Schengener Abkommen nicht unterzeichnet hat, steigt die Zahl der Flüchtlinge, die auf die Insel kommen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Wenn die Justiz- und Innenminister der Europäischen Union sich heute in Stockholm treffen, wird Asyl und Migration ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Als Einstimmung aufs Thema hat der britische Innenminister jetzt gefordert, die EU solle ihre Asylbedingungen verschärfen. Danach müssten etwa außereuropäische Asylbewerber künftig ihren Antrag „im ersten sicheren Land“ ihrer Flucht stellen. Straw appelliert außerdem an die EU, die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 zu überarbeiten und „echte“ Flüchtlinge von Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden.

Ruud Lubbers, Hoher Kommissar der UN für Flüchtlingsfragen, wird über diesen Vorschlag wenig erfreut sein. Die schwedische Präsidentschaft hat ihn als „special guest“ nach Stockholm eingeladen. Dort wird er Straw wahrscheinlich daran erinnern, dass UN-Konventionen nicht von der EU allein geändert werden können. Und er wird vielleicht auch darauf verweisen, dass Großbritanniens Probleme hausgemacht sind: Ganz freiwillig stellt sich die Insel außerhalb von Schengenland und profitiert deshalb auch nicht von dem „Service“, den die Festung Europa den Schengen-Mitgliedern anbietet: Kontrolle der Einreisepapiere bereits im Abflugland, Verlagerung der Asylprozedur ins Konsulat des Herkunftslandes, keine Aufnahme von Flüchtlingen, die sich bereits in einem „sicheren Drittland“ befinden.

Bei den Flüchtlingen hat sich inzwischen herumgesprochen, dass jeder, der britischen Boden erreicht, dort auf ein individuelles Asylverfahren hoffen kann. Ihre Zahl ist deshalb in den letzten Jahren stark gestiegen. 1998 stellten 46.000 Menschen im Vereinigten Königreich einen Antrag auf Asyl. 1999 waren es 71.160, Tendenz weiter steigend.

Den Abschreckungsplänen des britischen Innenministers allerdings fehlt die rechtliche Grundlage. Bereits im Juli 1999 entschied das Oberste Gericht im Königreich, dass Flüchtlinge, die über den Kanal aus Frankreich gekommen waren, nicht dorthin zurückgeschickt werden dürften. Die EU-Bestimmungen über Drittland und sicheres Herkunftsland könnten zu einer Kettenreaktion führen, an deren Ende der Flüchtling wieder dort landet, von wo er geflüchtet war. Diese Befürchtung teilt das Hohe Kommissariat für Flüchtlingsfragen der UNO.

Anlass für die Entscheidung des britischen High Court war eine Klage tschechischer Roma. Ihre Anwälte argumentierten, dass Frankreich sie nach Deutschland weiterreichen würde, wo sie zuerst EU-Boden betreten hatten. Deutschland aber betrachte Tschechien als sicheres Drittland und würde sie ganz sicher an den Ausgangspunkt ihrer Reise zurückschicken. Deshalb müsse Großbritannien die Fluchtgründe in einem eigenen Asylverfahren prüfen.

In Stockholm wird Lubbers seinen Gastgebern noch einmal ins Stammbuch schreiben, was er am Dienstag bei seinen Gesprächen in der EU-Kommission gefordert hat: Europa dürfe sich nicht zum Ziel setzen, so viele Flüchtlinge wie möglich draußen zu halten. Den osteuropäischen Staaten müsse dabei geholfen werden, den humanitären Umgang mit Flüchtlingen zu lernen. Schließlich müsse die EU Drittstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen, finanziell mehr unterstützen.

Mit diesen Vorwürfen ist Lubbers bei der EU-Kommission allerdings an der falschen Adresse. Der für Justiz und Inneres zuständige Kommissar António Vitorino hat bereits mehrere Vorschläge vorgelegt, wie die Situation der Flüchtlinge in Europa verbessert werden könnte. Es sind die Innenminister, die die Festung Europa mit immer höheren Mauern umgeben. Solange sie im Rat ihre Beschlüsse einstimmig fassen müssen, wird sich daran auch nichts ändern.