Die Nase voll

Der Zoll hat einen guten Riecher: Was alles passieren kann, wenn man sich eine kleine Bronzestatue von Amerika nach Deutschland schicken lässt

von FALKO HENNIG

Im Sommer war ich in Phoenix, Arizona, und interviewte die Bildhauerin der Beat-Poeten, Linda King. Die wirtschaftliche Grundlage dieser Reise wäre eine Berliner Ökonomie wert, aber ich verschlimmerte meine durch den hohen Dollarkurs verstärkte katastrophale finanzielle Lage noch, indem ich 300 Dollar für ein kleines, von Charles Bukowski geformtes Männeken anzahlte.

Der Deal, den ich mit der Bildhauerin machte, war der: 500 Dollar für das Männeken, das ein wenig aussah wie die, die der Dichter neben seine Signaturen zu malen pflegte, und die Kosten für einen Bronzeabguss für die Bildhauerin selber. Ich musste dann weiter, eine Buchhändlerin in San Pedro interviewen, die eine Studie zu Charles Bukowski und seinen Einfluss auf die Welt plant – ein Projekt, das in seinen Ausmaßen an die Entschlüsselung des Genoms erinnert.

Zurück in Deutschland, erfuhr ich von der Bildhauerin, dass der Bronzeabguss über 600 Dollar kosten würde. Ich überwies ihr, um meinen finanziellen Ruin zu verstärken, noch 250 Dollar, damit sie die Hälfte der Gesamtsumme hätte. Nachdem ich es schon kaum noch geglaubt hatte, bekam ich Wochen später dann vom Briefträger einen Zettel ausgehändigt, dass ich mir ein Päckchen beim Hauptzollamt Berlin in der Kufsteiner Straße 71–79 abholen könnte.

Das Amt war recht leer: Drei Bearbeiter und drei Kunden, von denen zwei auf einer Bank warteten. Schilder zeigten an, dass der große Glaskasten das Revier des Abfertigungsleiters war, und wo es zur Anmeldung ging. Eine Plakatserie erklärte die Aufgaben des Zolls: „Der Zoll hat einen guten Riecher ...“ Darunter das Bild eines Schäferhundes, „... und vom Drogenschmuggel die Nase voll.“ Es war eine richtige Serie von Plakaten. Auf dem nächsten richtete sich der Lauf eines Revolvers auf den Betrachter: „Der Zoll hat diese Waffe sichergestellt ... sie wird sich nie auf Sie richten.“ Auf einem weiteren waren zwei Jacken der Marke Thiemsee, wo das T wie ein E aussieht: „Der Zoll erkennt die Fälschung sofort ... Sie erst nach 2 Wochen. Verbraucherschutz: Wir arbeiten daran. Der Zoll.“

Ich ging auch noch an zwei niedlichen winzigen Äffchen vorbei, die wegen ihrer beim Schmuggel verstorbenen Geschwister anklagend blickten. Ich reichte dem fülligen Beamten mein Formular, und der Beamte kam wieder mit einem kleinen Päckchen: „Was ist denn da drin?“ „Ein kleines Männeken aus gebranntem Ton.“ Er baute mir eine goldene Brücke: „Ein Geschenk?“ Ich war zu blöd, die Tragweite dieser Auskunft zu begreifen, und sagte: „Das war so ein Tauschgeschäft, ich hab die in Amerika besucht und ihr einen Abguss bezahlt, 100 Dollar.“

Immerhin ahnte ich doch was und hatte meine wahren Kosten rasch dezimiert. „Dann kostet das Zoll und Steuern unabhängig vom Verwendungszweck. Wie viel, sagten Sie, haben Sie für den Abguss bezahlt? 200 Dollar?“

Jetzt wollte er mich reinlegen, aber ich blieb dabei: „Nein, 100 Dollar.“ „Gut, ich glaube Ihnen. Vielleicht kucken Sie es sich mal an, ob es unbeschädigt ist. Zahlen Sie bar?“ fragte er noch hinter seinem Computer, und ich bestätigte. „Macht 43,35 Mark.“

Da hatte ich ja Glück gehabt, wäre ich bei der Wahrheit geblieben, hätte ich womöglich 400 Mark Zoll zahlen müssen. Ich öffnete das Päckchen. Unter Zeitungspapier kam das unförmige braune Männchen mit erigiertem Penis zum Vorschein, aber ein Arm war abgebrochen. „Es ist kaputt!“

Der Beamte: „Ich bestätige Ihnen das, dann können Sie das beim Postamt angeben, das ist ja ein Wertpaket. Aber ich sage Ihnen gleich, bei der Verpackung, keine Chance. Da müssen Versteifungen und so rein. Am besten fahren Sie zu dem Postamt, mit dem wir zusammenarbeiten.“ Er beschrieb mir den Weg, ich ließ mir das Formular geben: „Sie werden dann aufgerufen!“ Ich wartete auf der Bank auf den Aufruf zum Bezahlen. Ein anderes Plakat forderte auf: „Bedrohte Natur weltweit schützen!“

In der Mitte des Raumes standen zwei Töpfe mit Grünpflanzen, je ein immergrünes Nadel- und ein Laubbäumchen, auf dem Fenstersims vier Kakteen. Durch die großen Scheiben sah man das Gebäude des DeutschlandRadios, darüber stand aus Denkmalschutzgründen RIAS. „Muss man das hier aufmachen?“, fragte erschreckt eine Dame neben mir mit Blick auf das geöffnete Päckchen. „Nein, ich habe nur nachgekuckt, ob es ganz ist.“ Endlich wurde ich aufgerufen. „Bitte Diskretionsabstand einhalten!“ stand an der Geldannahmestelle, ein schon abgetretener gelbschwarz gestreifter Balken zeigte, was damit gemeint war. Ich verließ das Amt, vorbei an dem Schild „Ausfuhr“ und der verwaist darunter stehenden Paketwaage. An der Ausgangstür stand: „Die Sendungen dürfen vom Zollbeamten nur nach mündlicher Freigabe durch den Abfertigungsbeamten entfernt werden.“

Bei diesem Ärgernis, angesichts des abgebrochenen Arms, hatte ich wohl noch die vernünftigste Wahl getroffen – jeden höheren Wert hätte ich ja dann sowieso nicht erstattet bekommen und trotzdem mehr Zoll bezahlen müssen. Wobei mir ein Denkfehler auffiel: Weshalb sollte ich bei dieser offensichtlichen Beschädigung noch den vollen Zoll und Steuer zahlen? Der wirkliche Wert müsste ja geringer sein. Ich war hoffnungslos in meinem fein gestrickten Lügennetz verfangen. Ich klebte den Arm mit 2-Komponenten-Kleber wieder ran, wobei ich bemerkte, dass der Fuß auch schon mal abgebrochen war.

Immerhin: Mit diesem Artikel werde ich dann wohl alles von der Steuer absetzen können, oder?