Amt schiebt Gerichtsurteil ab

Die Ausländerbehörde will einen Bosnier ausweisen, weil er angeblich nur zum Schein verheiratet ist. Dabei hat selbst das Amtsgericht geurteilt: Seine Ehe mit einer Deutschen ist nicht vorgetäuscht

von JULIA NAUMANN

Um einen Ausländer ausweisen zu können, ignoriert die Ausländerbehörde selbst ein Gerichtsurteil. Sie unterstellt einem Bosnier, in einer Scheinehe mit einer Deutschen zu leben. Das Amtsgericht hat jedoch in einem Urteil entschieden, dass der Mann keine Zweckehe führt. Der Rechtsanwalt von Hamid H. hat sich jetzt mit einem offenen Brief an das Abgeordnetenhaus gewandt, damit die Parlamentarier sich der Angelegenheit annehmen.

Der 24-jährige Roma war 1990 mit seinen Eltern aufgrund des beginnenden Bosnienkriegs nach Berlin gekommen. Hier bekam er eine Duldung, die immer wieder verlängert wurde. Im April 1999 heiratete er Sandra L. Die beiden lebten schon vor der Eheschließung einige Monate zusammen, so sein Rechtsanwalt Peter Meyer.

Kurz nach der Heirat beantragte Hamid H. eine Aufenthaltserlaubnis. Diese steht Ehepartnern, die mit Deutschen verheiratet sind, in der Regel zu. Daraufhin wurde das Ehepaar bei der Ausländerbehörde zu einer Anhörung geladen. Dabei sollte herausgefunden werden, ob die Ehe nur geschlossen wurde, damit der Bosnier einen gefestigten Aufenthaltstatus bekommt.

Bei der Anhörung werden die beiden Ehepartner getrennt befragt. Die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde wollen etwa wissen, wie das Paar sich kennen gelernt hat, welchen Film sie zuletzt gemeinsam gesehen haben oder welches Parfum der andere benutzt. Die Sachbearbeiterin vermerkte nach der Anhörung in Hamid H.s Akte, dass „der Verdacht einer Zweckehe nicht bestätigt werden kann“. Dennoch erstattete die Behörde einen Monat später Strafanzeige, weil sie davon ausging, dass es sich um eine vorgetäuschte Ehe handelt.

Daraufhin begann eine Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe „Scheinehe“, die beim Landeskriminalamt angesiedelt ist, zu ermitteln. Nach Angaben von Rechtsanwalt Meyer befragte sie mehrere Bewohner des Plattenbaus in Marzahn, in dem das Paar wohnt. „Sie zeigte Fotos herum und fragte, ob sie die Personen kenne“, sagt Meyer. Einige hätten verneint. Daraus schloss die Beamtin, dass es sich um eine Scheinehe handeln müsse.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage, es kam zu einem Prozess. In der dreistündigen Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten wurden die Hausbewohner erneut befragt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass es sich nicht um eine Scheinehe handele. Das Paar wurde freigesprochen.

Die Ausländerbehörde will Hamid H. dennoch ausweisen. In einem Schreiben an den Anwalt heißt es, dass es keine Veranlassung gebe, die Ausweisung aufzuheben. Mitte Juni vergangen Jahres bekam Hamid H. die Aufforderung, nach Bosnien auszureisen. Der Leiter der Ausländerbehörde, Harald Bösch-Soleil, begründete dies in einem Brief an den Rechtsanwalt damit, dass „eindeutige Ermittlungsergebnisse der zuständigen Dienststelle zugrunde liegen“. Nach Auffassung der Ausländerbehörde gibt es trotz des Freispruchs nach wie vor Anhaltspunkte, die für eine Scheinehe sprechen.

In dem offenen Brief an das Abgeordnetenhaus kritisiert Meyer, dass „die Ausländerbehörde nicht bereit ist, das Ergebnis von Gerichtsentscheidungen zu akzeptieren, mit deren Ergebnis man nicht zu frieden ist“. Besonders pikant sei, dass das Amtsgericht Tiergarten in einem weiteren Scheinehe-Fall, in dem die gleiche Polizeibeamtin ermittelt hatte, es abgelehnt habe, eine Anklage zuzulassen, da die Ermittlungen der Beamtin „ohne Beweiswert“ seien.

Die Duldung des Bosniers läuft Ende des Monats aus, dann kann er abgeschoben werden. Die Innenverwaltung, der die Ausländerbehörde und das Landeskriminalamt unterstehen, wollte sich zu dem Vorfall nicht äußern.