Abschreckungsbeispiel Kalifornien

Die vollständige Liberalisierung des deutschen Gasmarktes ist ins Stocken geraten. Interessenverbände streiten über die Modalitäten des Netz- und Speicherzugangs. Wirtschaftsminister Werner Müller hat jetzt eine Frist bis März gesetzt

von NICK REIMER

Egal ob Telefon, Paket, Trinkwasser oder Strom – die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union steht ganz im Zeichen von Wettbewerb und Liberalisierung. Aktuell vollzieht sich diese in Deutschland auf dem Gasmarkt. „Die gesetzlichen Grundlagen sind gelegt, es müssen nur noch Detailfragen wie Netzzugang und Nutzungsentgelte geregelt werden“, bilanzierte gestern eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums.

Wie so oft steckt auch hier der Teufel genau in diesen Details. Industrie- , Gas- und Energieverbände wollen sie untereinander klären – die Verhandlungen zur so genannten Verbändevereinbarung sind aber festgefahren. Die auf den Markt drängenden Händler werfen den bisherigen Gebietsmonopolisten vor, freien Netzzugang und -nutzung zu behindern. So kritisierte etwa Claus Rottbach, Vorstand des Berliner Energiemaklers Ampere AG, den freien Netzzugang als „unzureichend und diskriminierend“. Der Gasmarkt sei um einiges komplizierter als etwa der Strommarkt. Die jetzigen Vorschläge eröffneten „den etablierten Spielern mehr Blockademöglichkeiten, die sie auch voll ausschöpfen“.

Gestern schlug Friedrich Späth, Vorstandsvorsitzender der Ruhrgas AG, zurück. „Die Verhandlungssituation ist so kompliziert, weil die Händler zwar unverschämte Forderungen aufstellen, nicht aber bereit sind Verantwortung zu übernehmen“, erklärte der Chef des deutschen Marktführers. Sein warnendes Beispiel: Kalifornien. Die Energiekrise des US-Bundesstaates zeige, dass sich Liberalisierung und Versorgungssicherheit entgegenstünden. „Kalifornien liefert ein Beispiel dafür, was passiert, wenn der Staat zu stark regulierend in den Markt eingreift.“ Statt langfristiger Lieferverträge und entsprechender Versorgungsgarantie bestimme das kurzfristige Geschäft das unternehmerische Handeln.

„Die neuen Händler wollen nur kaufen und verkaufen, nicht aber in eigene Netze investieren“, sagte Späth. 65 Milliarden Mark steckte die deutsche Gaswirtschaft in den letzten zehn Jahren vor allem in den Ausbau von Pipelines und Speicheranlagen.

Wirtschaftsminister Werner Müller hat die Verbände jetzt unter Druck gesetzt. Zwar favorisiere er weiterhin eine Einigung der Verbände, die in einer weiterentwickelten Verbändevereinbarung mündet. „Wenn die aber nicht bald zustande kommt, muss der Gesetzgeber handeln“, erklärte Müller. „Bald“ ist, wie eine Sprecherin gestern bestätigte, festgesetzt auf März. Späth, der gestern die nächste Verhandlungsrunde auf „die letzte Februardekade“ terminierte, zeigte Verständnis für Müller. „Wenn sich die Verbände nicht einigen, hat der Wirtschaftsminister gar keine andere Wahl als selber zu regulieren.“

Überhaupt stellte er dem parteilosen Minister ein gutes Zeugnis aus. Nicht er sei das Problem, sondern die EU. „Statt Manager und Nachfrage wollen Brüsseler Beamte den Markt regeln. Das kann nicht gut gehen.“ Die Idee, so dauerhaft niedrige Preise für die Verbraucher zu haben, sei reine Wunschvorstellung. In den USA, wo der Markt seit längerem liberalisiert sei, habe sich im vergangenen Jahr das Angebot auf dem Markt verknappt, der Gaspreis verfünffacht. „In Deutschland hingegen“, erklärt der Lobbyist in eigener Sache, „stieg er nur um 100 Prozent.“