Altes Stück in neuer Besetzung

Auf Antrag der Unionsfraktion debattierte der Bundestag gestern das Thierse-Papier und den Aufbau Ost. Das Parlament beschränkte sich auf die Neuauflage des alten Spiels

BERLIN taz ■ Das Interview war geschickt getimt. Gegenüber der Sächsischen Zeitung erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), seine Formulierung „der Osten steht auf der Kippe“, sei ihm vielleicht „zu dramatisch geraten“. Pünktlich zur gestrigen Aktuellen Stunde im Bundestag erneuerte Thierse aber seine Lageeinschätzung. „Die genannten ökonomischen Daten hat keiner widerlegt oder behaupten können, sie seien falsch“, so Thierse. Sein Thesenpapier vom Jahresanfang weise „akzentuiert auf die Probleme hin“, wenn auch im falschen Bild.

Das sieht offenbar die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch so. Sie stellte die von ihr anberaumte Debatte unter den Titel „Pläne der Bundesregierung zum Aufbau Ost angesichs der Kontroverse innerhalb der SPD“. Die Rollen waren gestern entspechend schnell verteilt. Part Numero 1: Wie einst die oppositionelle SPD warf jetzt die christdemokratische Opposition der Regierung „Versagen beim Aufbau Ost“ vor. „Nichtaktivität“ nannte Unions-Fraktionsvize Günter Nooke das, was die Regierung im Osten betreibe. Deshalb sei es verständlich, dass Thierse mit seinen Thesen zur Lage in Ostdeutschland die „Reißleine“ gezogen habe. Als einen Beitrag zur „Stagnation“ bewertete die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Cornelia Pieper das rot-grüne Handeln in Neufünfland. Es fehle ein schlüssiges Gesamtkonzept für die neuen Länder.

Part Numero 2 des gestrigen Besetzungsplanes: So wie einst CDU- und FDP-Vertreter ihre Politik im Deutschen Osten verteidigten, so verteidigten diesmal rote und grüne Koalitionäre ihre Politik. „Ostdeutschland steht in der Mitte einer Wegstrecke“, bilanzierte der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Rolf Schwanitz (SPD), den Stand in seinem Zuständigkeitsbereich. Unter Rot-Grün habe das Ost-Wirtschaftswachstum ein deutliches Plus, was Schwanitz sich zu Gute hielt und als „gute Trendwende“ wertete. Die ostdeutsche Wirtschaft stehe „nicht vor dem Absturz“, erklärte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Sabine Kaspereit. Das Problem sei nur: „Sie wächst noch nicht schnell genug.“ Und der Grüne Werner Schulz verwies auf das „Konzept“, das seine Regierung vorgelegt habe.

Bleibt Besetzungspart Numero 3: Die Rolle des großen Schweigers. Die übernahm Wolfgang Thierse gestern selbst. Was er dachte, konnte man allenfalls in der Sächsischen Zeitung nachlesen. NICK REIMER