Zeichen der Zeit

Rund 850.000 Telearbeiter gibt es in Deutschland – davon fünfhunderttausend Außendienstmitarbeiter. Das hat 1997 eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag des Bundesarbeitsministers ergeben. Für Desk-Sharing selbst liegen bisher nur Begleitstudien zu Modellversuchen in deutschen Betrieben vor.

Der Tübinger Arbeitspsychologe Wilhelm Glaser hat die Einführung der Telearbeit bei IBM Deutschland begleitet und die mobilen Mitarbeiter 1993 nach ihren Erfahrungen befragt. Überraschendes Ergebnis: Siebzig Prozent der Befragten sahen in dieser Arbeitsform ein Privileg. Sie lobten vor allem die flexiblen Bürozeiten und das Arbeiten in vertrauter Umgebung. Heute beschäftigt die deutsche IBM mehr als viertausend Telearbeiter, die mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit nicht mehr an einem Unternehmensschreibtisch verbringen – immerhin zwanzig Prozent aller Mitarbeiter. Von den 3.700 Mobilarbeitern im technischen Außendienst und im Vertrieb sind allerdings die klassischen Telearbeiter zu unterscheiden, die ständig zu Hause arbeiten, also kein Desk-Sharing betreiben.

Um grünes Licht vom Betriebsrat zu erhalten, hat das Computerunternehmen 1995 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zu flexiblen Arbeitsplätzen abgeschlossen. Änderungen in den Arbeitsverträgen waren dagegen nicht notwendig, da diese einen möglichen Einsatz an verschiedenen Arbeitsorten schon immer vorsahen.

Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist Desk-Sharing ein blinder Fleck in der Bürolandschaft. Nicht nur, weil mobiles Arbeiten ein relativ neues Phänomen ist. Wer nicht im Betrieb arbeitet, der ist für die Gewerkschaften nur schwer zu fassen. „Der Zugang zu den Telearbeitern gestaltet sich äußerst schwierig“, sagt Martina Perring, Referentin für Arbeitsrecht beim DGB-Bundesvorstand in Berlin.

Auf ihrem Gewerkschaftstag hatte die zuständige IG Metall 1982 gar den Antrag gestellt, Telearbeit gesetzlich verbieten zu lassen. Daraus wurde zwar nichts, aber seine Position zur Telearbeit hat der Gewerkschaftsbund in der Vergangenheit wiederholt dargelegt. Forderung Nummer 1: Die Schutzrechte der Arbeitnehmer müssten auch für Telearbeiter gelten. Forderung Nummer 2: Am rechtlichen Status der Mitarbeiter dürfe sich durch neue Arbeitsplatzkonzepte nichts ändern.

Ob die arbeitsrechtlichen Bestimmungen in der Praxis immer eingehalten werden, können die Gewerkschaften jedoch nur schwer überprüfen. Bei Großbetrieben mit einem starken Betriebsrat, so DGB-Expertin Perring, stelle sich das Problem sicherlich nicht. „Aber an die Klein- und Mittelbetriebe, die solche Formen praktizieren, kommen wir nicht ran.“

Einziger Trost: Die Zurückhaltung gegenüber den neuen Arbeitsplatzkonzepten ist groß. Nur zehn Prozent der vom Fraunhofer-Institut befragten Unternehmen und Behörden boten Telearbeit an. In Finnland, Großbritannien oder Holland sind es zwischen vierzehn und siebzehn Prozent.

Damit Deutschland arbeitstechnisch nicht den Anschluss verliert, startete die Kohl-Regierung 1996 die Initiative „Telearbeit“. Auch die rot-grüne Koalition hat die Zeichen der Zeit erkannt: Mit dem im Dezember 1999 beschlossenen Programm „Moderner Staat – moderne Verwaltung“ will sie Telearbeit als Modell der Zukunft in der Bundesverwaltung durchsetzen.

NM