Unabhängigkeitstag

■ Er ist der berühmteste Holzhaus-Bewohner der Welt und wollte viel mehr als Gemütlichkeit: H. D. Thoreau / Ein Lobgesang auf das „Vergnügen des Bauens“

Im März 1845 borgt sich der ehemalige Lehrer Henry David Thoreau eine Axt, geht zum Ufer des Waldensees, Massachusetts, USA, und beginnt, einige Weißtannen zu schlagen. Am 4. Juli – dem amerikanischen Unabhängigkeitstag – zieht der 27-Jährige in das frisch gezimmerte Holzhaus, in dem er zweieinhalb Jahre leben wird. Seine Suche nach Freiheit und einem besseren Leben wird er später in dem Buch „Walden: or, Life in the woods“ zusammenfassen, das bis heute als einflußreicher Alternativentwurf zu Marx & Engels gilt.

Die meisten Menschen hätten nie bedacht, was ein Haus ist, schreibt der Ur-Aussteiger und Steuerverweigerer, der zu einem Protagonisten des gewaltlosen Widerstands wurde. „Sie sind tatsächlich ihr Leben lang arm, weil sie glauben, ein ähnliches (Haus) haben zu müssen wie ihre Nachbarn.“ Thoreau macht sich also an die Arbeit, seine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, allein, um nicht das „Vergnügen des Bauens dem Zimmermann zu überlassen“. Tagelang schlägt er Bauholz, liest mit harzigen Händen die Mittagszeitung, ißt und arbeitet, bis einen Monat später das Rahmengestell seines Hauses bereitet ist.

Für vier Dollar und 25 Cent kauft Thoreau die Hütte eines verarmten Iren, um Holz für Wände, Dach und Fensterrahmen zu bekommen. Er karrt die Bretter zum Teichufer, wo er am südlichen Abhang eines Hügels einen Keller gräbt – genau, dort, wo zuvor ein Murmeltier seinen Bau hatte. Im Mai stellt er mit Hilfe einiger Bekannter den Rahmen auf, im Juli kann er sein neues Heim beziehen: Ein „gutschließendes, geschindeltes und verschaltes Haus von zehn Fuß Breite auf fünfzehn Fuß Länge und acht Fuß Höhe, mit Speicherraum und Wandschrank, einem großen Fenster auf jeder Seite, zwei Schiebetüren, eine an jedem Ende, und einem Backsteinkamin“. Baukosten: $ 28,12. Besonders teuer: Zwei Faß Mörtel für $ 2,40, wie der Ex-Mathematiker notiert.

Der Mensch sollte mit ebensoviel Fug und Recht sein Haus selbst bauen wie der Vogel sein Nest, sinniert der Autor nach getaner Arbeit. Möglicherweise würden doch gerade bei dieser Betätigung die poetischen Fähigkeiten – wie das Singen – entwickelt! Arbeitsteiliges Wirtschaften ist Thoreau ein Gräuel, zumal die Architekten aus seiner Sicht für jede Menge dekorativen Ballast verantwortlich sind. Für diesen Propheten der Einfachheit erwächst architektonische Schönheit aus den Bedürfnissen und Eigenheiten der Bewohner.

In Thoreaus Worten: „Die interessantesten Wohnstätten in diesem Land sind ... die bescheidenen Blockhütten und Häuschen der Armen; was sie ,pittoresk' macht, das ist das Leben der Bewohner, deren Muschel sie sind, nicht bloße oberflächliche Eigentümlichkeiten. Ebenso interessant wird des Städters Vorstadtwohnung aussehen, wenn sein Leben einfach und angenehm wirkt und er den architektonischen Effekt seines Hauses ebenso wenig forciert wie der Arme.“

Die einsame Hütte am Waldensee ist Ausgangspunkt der zahlreichen Exkursionen Thoreaus, der mit mikroskopischem Blick das Wesen der Heidelbeere erkundet oder die Farben des Wassers, ohne weiteres jedoch auch über materiellen Besitz oder anderes Ungemach zu meditieren beginnt. Die Kapitel seines Buches heißen „Das Bohnenfeld“, „Ökonomie“, „Heizung“ oder „Höhere Gesetze“. Als Henry David Thoreau am 6. Dezember 1847 sein Holzhaus verlässt, muß er feststellen, dass sein Austieg auf Zeit – zumindest wirtschaftlich – ein Misserfolg war: Zweieinhalb Jahre „Walden“ haben ihn – die Verdienste bereits abgezogen – 25,21 $ gekostet. Die Axt nicht mitgerechnet. hase