sozialgeschichte
: Im Spiegel der Tiere

Zoogeschichten

Wer hätte das gedacht: Tiergärten erfreuen sich in Deutschland so großer Beliebtheit, dass die Zahl ihrer Besucher die von Sportstadien übertrifft. Der Mensch hält sich eben gerne den animalischen Spiegel vor. Im Zoo lässt sich seine Position innerhalb des Evolutions- und Sozialgefüges perfekt via Rollenspiel reflektieren. Seit dem 5. Jahrtausend vor Christus werden lebende Tiere gesammelt, um vor allem die Rangordnung innerhalb einer Gesellschaft zu inszenieren. Noch nicht allzu lange ist es her, dass sich derartige Demonstrationen der Überlegenheit des Menschen in die Vorstellung verwandelte, der Tierpark würde des Menschen nächste Verwandte beherbergen.

Biologisch-wissenschaftliche Interessen waren den französischen Universitätsdozenten Eric Baratay und Elisabeth Hardouin-Fugier nie ein Motiv, Kabinette lebender Tiere einzurichten. Ihre Sozialgeschichte des Zoos zieht gar Linien zwischen der allmählichen Demokratisierung Europas und der Entwicklung „von der Menagerie zum Tierpark“. Gesellschaftspolitische Projektion lautet das Zauberwort.

Die zahmen Löwen der Könige des Mittelalters, Insignien für Macht und Kraft, stehen am Beginn der abendländischen Tierschauen. Sie sollen dem Publikum Furcht einflößen. Parallel zum Selbstverständnis der Monarchie verwandeln sich die Zwinger in pompöse Anlagen, deren exotische Ausstellungsstücke vom Herrschaftsbereich ihrer Besitzer zeugen. Der Bürgerstand wird die Idee der Menagerien mit der Aufklärung in verkleinerter Form übernehmen, aus den Volieren werden die Vogelbauer der Proletarier.

Ins 19. Jahrhundert fällt die Geburtsstunde des heutigen Zoos. Tiergärten erzählen von Europas Eroberung der neuen Kontinente. Schonender Transport und artgerechte Haltung sind Fremdwörter, schließlich bieten die Kolonien ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir, das zu verschwenden der Zeit entspricht. Der Höhepunkt der damaligen Arroganz, die Erweiterung des Zooinventars um Naturvölker, ist den Autoren leider nur wenige Abätze wert, die zudem die hohe Todesrate unter den importierten Feuerlandindianern oder Eskimos abschwächen.

„Von der Menagerie zum Tierpark“ ist ein der Institution grundsätzlich freundlich gesinntes Buch, das in seinem kritischen Ansatz immer dort Halt macht, wo Tabubrüche Grundsatzfragen aufwerfen könnten. Die von den Autoren angezettelte Debatte, ob der Arche-Noah-Zoo sich letztlich als kontraproduktiv bei der Rettung vom Aussterben bedrohter Arten herausstellen wird, bleibt folglich unbeantwortet. Der Sehnsucht, in eine vermeintlich heile Welt jenseits der Informationsgesellschaft zurückzukehren, entspricht übrigens die Verwandlung der Lustgärten in Safariparks. Heute sitzen die Besucher in Käfigen. Autos. Das moderne Zoopublikum, so die Autoren, neidet dem Tier seine archaische Unbekümmertheit. Logisch, wenn bei denen jeden Tag Sonntag ist.

MARTIN DROSCHKE

E. Baratay/E. Hardouin-Fugier: Zoo. Von der Menagerie zum Tierpark. Wagenbach, Berlin 2000. 252 Seiten, 48 DM