: Die Vertreibung aus dem Paradies
Wenn Kormorane auf Galapagos über Tang-Möbel streiten, ist das eines der großen Tier-Lustspiele dieser Welt, sozusagen eine Comédie humaine. Durch das jüngste Tankerunglück vor dem Insel-Archipel ist jetzt das Leben ihrer Hauptdarsteller bedroht
von THOMAS PAMPUCH
„Genauso würde die Welt aussehen, wenn als Strafgericht eine Feuersbrunst darüber hinweggegangen wäre. Es ist zu bezweifeln, ob irgendeine Stelle auf Erden dieser Inselgruppe an Trostlosigkeit gleichkommt.“ Keine sehr einladende Darstellung eines Paradieses. Doch ein Walfänger wie „Moby Dick“-Autor Herman Melville, der 1854 in „Die verwunschenen Inseln“ Galapagos so beschrieb, hatte wohl andere Vorstellungen davon, wie der Garten Eden auszusehen habe. Dennoch, jeder, der die Galapagosinseln kennt, wird bei der Nachricht von der Tankerkatastrophe bei San Cristóbal das Gefühl verspüren, eines der letzten Paradiese der Erde sei – wieder einmal – vom Menschen bedroht. Und man ist versucht, von einem „Strafgericht“ zu reden. Die Trostlosigkeit heute liegt darin, das selbst eine Inselgruppe, die fast 1.000 Kilometer von der nächsten Küste entfernt ist, nicht mehr gegen von Menschenhand verursachte Umwelttragödien gefeit ist.
Was macht diesen Archipel im Pazifik so einzigartig? Nehmen wir Punta Espinosa an der Nordspitze von Fernandina, der westlichsten, jüngsten und vulkanisch aktivsten Insel der Galapagos. Fernandina besteht aus einem einzigen riesenhaften Schildvulkan, der bis auf 1.500 Meter aufragt und dessen Flanken von gigantischen erstarrten Strömen der rundlichen Stricklava bedeckt sind, die hier scharfkantig auslaufen. Doch es ist nicht nur die grandiose Landschaft, die Punta Espinosa zu einem der überwältigendsten Orte der Erde macht. Der zwei Kilometer lange Spaziergang, den die Besucher – auf markiertem Pfad und nur mit Führern – machen dürfen, ist eine Stippvisite in einem vom Menschen fast unberührten Laboratorium der Natur. (Diese Landspitze ist die einzige Stelle der Insel, die Touristen überhaupt betreten dürfen.)
Schon wenn die Besucher bei der Landung in einem kleinen Mangrovenwäldchen aus dem Schlauchboot ihres Kreuzfahrtschiffes klettern, müssen sie darauf achten, nicht auf die träge herumliegenden Meeresechsen zu treten. Gelangt man zu dem hellen Sandstrand mit der dunklen Lava dazwischen, sieht man die grauschwarzen, breitbäuchigen, bis zu einem Meter langen Reptilien manchmal zu hunderten wild übereinander geflegelt beim Sonnenkult. Der aber besteht im Akt kollektiven Verdauens dieser weltweit einzigen Tauchechsen. Die Algen, die sie auf langen Weidezügen tief im Meer abgegrast haben, werden mit Hilfe der Sonnenwärme in ihrem Bauch „gegart“. Das Salz niesen die Tiere immer wieder in großem Bogen aus. Später richten sie sich auf, stellen den Körper senkrecht zum Licht, recken die Köpfe der Abendsonne entgegen und verharren reglos. Was aussieht wie das fantastische Tableau einer massenhaften Abendandacht von Minidrachen, dient schlicht der Regelung der Körpertemperatur. Die wird bei Meeresechsen durch die Stellung zur Sonne bestimmt.
Während sich Echsenmännchen gelegentlich mit aufgestellten Nackenstacheln und heftigem Schnappen wichtig machen, brüllen unruhig umherschwimmend ihre Geschlechtsgenossen, die Seelöwenbullen – auch sie in der Absicht, ihr Terrain zu verteidigen. Das besteht in einem begrenzten Strandabschnitt mit einem Harem ansehnlicher Seelöwinnen, die sich offensichtlich weitaus entspannter als ihr angestrengter Pascha im Sand aalen. Derweil üben die Kleinen schwimmen oder sie suchen blökend und schmatzend die Zitzen ihrer Mamas. Mit etwas Glück kann man in Punta Espinosa Geburten ebenso wie Zeugungen erleben. Aber auch Kämpfe: etwa den zweier kleiner Seelöwengeschwister um den Platz an der Zitze. Der endet fast immer damit, dass eines der beiden verhungert.
„Survival of the fittest.“ Es verwundert nicht, dass Charles Darwin in der Zeit, die er 1835 als Naturforscher an Bord der „Beagle“ auf den Galapagos verbrachte, die grundlegenden Gedanken für sein Buch „The Origin of Species“ über die „natürliche Auslese oder die Erhaltung der bevorzugten Rassen im Kampf ums Dasein“ (veröffentlicht 1859) hatte. Auch Darwin war anfangs nicht besonders angetan: „Nichts konnte weniger einladend sein, als die erste Erscheinung“, schrieb er, als die „Beagle“ in einer Bucht vor San Cristóbal vor Anker ging – nicht weit entfernt übrigens von der Stelle, wo in diesen Tagen der Öltanker „Jessica“ langsam auseinanderbricht. Die sechs Wochen, die der junge Weltumsegler hier verbrachte, haben unsere Sicht der Welt mehr verändert als jede andere Erkenntnis des 19. Jahrhunderts.
Man muss kein Darwin mehr sein, um vor der einzigartigen Flora und Fauna der Galapagos über die Entstehung der Arten ins Sinnieren zu kommen. Es genügt, von den Echsen auf Punta Espinosa ein paar Schritte weiter zu schlendern und sich die flugunfähigen Kormorane anzusehen. Durch Anpassung, Selektion und Evolution hat sich in diesem Habitat eine Kormoranart entwickelt, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Nach Fischen und Tang zu tauchen, lohnte sich hier mehr, als mühsam herumzufliegen. Also verkümmerten die Flügel, der Körper wurde schlanker und schwerer, die Füße formten sich zu guten Paddeln.
Einer dieser Kormoranfamilien beim Nestbau zuzusehen, gehört zu den großen Tier-Lustspielen dieser Welt: Wenn der Mann aus den Meerestiefen die Tang-Möbel anschleppt, die Dame des Hauses daraufhin geschäftig die Wohnung einrichtet und herumprobiert, während er seine Stummelflügelchen im Wind trocknet, sie dann das Gebrachte mäkelnd zurückweist und ihn wieder nach unten ins Möbelhaus zum Umtausch schickt, das ist die Comédie humaine, dargestellt von einer Spezies, die entstanden ist durch hunderttausende Jahre langes Überleben des tüchtigsten Möbel- und Fischbeschaffers. Staunend und erleuchtet sieht es der faszinierte Betrachter.
Und so geht es auf jeder Insel. Dabei – auch das hat Darwin inspiriert – ist jede anders und hat ihre ganz spezifische Flora und Fauna: Riesenschildkröten mit Rundpanzer dort, wo es viel und bequem zu fressen gab. Langbeinigere und leichtere mit Sattelpanzer auf den trockeneren Inseln, wo sich die Urart der Galapagos-Riesenschildkröte nach den spärlichen Kakteen so lange strecken musste, bis sich der Panzer vorne hob und eine neue Unterart entstand. 13 verschiedene endemische Finkenarten hat Darwin auf Galapagos gezählt. Die je nach Insel unterschiedliche Modifikation der Schnäbel dieser „Darwinfinken“ war der wichtigste Auslöser für sein Studium des Ursprungs der Arten.
Auf jeder Insel des Archipels lernt man ein paar neue Tiere kennen. Das wirklich Paradiesische aber ist, dass sie sich um die Besucher nicht scheren. Egal, ob Blaufußtölpel beim Balztanz stolz ihre knalligen Füße zeigen, ob Albatrosse zum selben Zwecke ihre Schnäbel wie Fechter wetzen oder riesige Schildkröten aufeinanderkraxeln, sie alle haben keine Angst vor Menschen, nehmen sie kaum wahr. Und wenn, dann um mit ihnen zu spielen, wie die kleinen Seelöwen beim Tauchen, oder die Spottdrosseln, die einem die Schuhbänder aufzerren. Als habe es sich noch nicht herumgesprochen, was es mit dieser zweibeinigen Spezies auf sich hat.
Menschen gelangten erst im 16. Jahrhundert auf die Inseln. Weder die Seeräuber des 17. und 18. Jahrhunderts noch die Walfänger des 19. hatten großes Interesse an der urtümlichen Vielfalt der Inseln. Schon eher an den wohlschmeckenden Schildkröten, die damals zu hunderttausenden die Eilande bevölkerten, und die sie als lebenden Proviant auf den Schiffen wegschleppten – in solchen Massen, dass ihr Bestand heute bedroht ist. Auch in die in Millionen Jahren völlig isoliert gewachsenen Ökosysteme griffen die Menschen ein. Sie brachten fremde Tiere mit, die verwilderten und später ganze Inseln bedrohten.
Als sich in den Zwanzigerjahren einige zivilisationsmüde Europäer auf Galapagos ansiedelten, erwachte das Interesse der Weltöffentlichkeit an der „Arche Noah im Pazifik“. Noch rechtzeitig wurde der Archipel 1959 zum Nationalpark erklärt, die Darwin-Station zu Schutz- und Forschungszwecken eingerichtet. Seit den Sechzigerjahren boomt der Tourismus.
Es hätte schlimmer kommen können. Der Staat Ecuador (zu dem die Inseln seit 1832 gehören) achtet nach Kräften darauf, dass die wichtige Devisenquelle nicht zerstört wird. Es ist bezeichnend, dass sich die Schlamperei mit der „Jessica“ jetzt zu einer mittleren Staatskrise auswächst. Paradiese sind selten und lehrreich. Wir sind schon einmal hinausgeschmissen worden. Und da ging es nur um einen Apfel, nicht um 900.000 Liter ausgelaufenes Öl.
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