Japan zittert vor neuer „Risutora“

Japanische Notenbank senkte gestern den Diskontsatz leicht, nachdem die Wirtschaft 2000 geringer als erwartet wuchs. Rückkehr zur Nullzinspolitik steht jedoch angeblich nicht bevor. Konsumenten sind vorsichtig und sparen bereits

aus Yokohama ANDRÉ KUNZ

Im Maruumo, einem netten kleinen Restaurant nördlich von Yokohama, feierten wir kürzlich einen Geburtstag und waren erstaunt, dass die zwanzig übrigen Tische den ganzen Abend leer blieben. Dabei galt das Lokal unter Einheimischen als Geheimtipp, und in der Regel musste man mindestens eine halbe Stunde warten, bis ein Tisch frei wurde. „Die Leute essen wieder weniger auswärts. Sie sorgen sich über eine neue Welle von Risutora“, antwortete die Kellnerin auf unsere Fragen. „Risutora“ bedeutet nicht etwa Restaurant, sondern ist die japanische Ausprache des englischen „Restructuring“, zum Synonym für Arbeitslosigkeit, Lohnkürzung, Rezession und Krise überhaupt geworden ist.

Diese Sorge hat ihren Grund: Am Donnerstag veröffentlichte die Regierung korrigierte Zahlen zum dritten Quartal 2000 und musste dabei zugeben, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht wie ursprünglich gemeldet um 0,2 Prozent gewachsen, sondern um 0,6 Prozent geschrumpft war. Statt wie bisher angenommen 2 Prozent, wird Japans BIP bis Ende März höchstens 1,6 Prozent wachsen. Der Rückfall in eine Rezession schließen Volkswirte derzeit zwar noch aus, aber die merkliche Abkühlung der Wirtschaft wird auch im kommenden Jahr anhalten. Niemand erwartet ein Wachstum über 1,4 Prozent.

Auf den erneuten Konjunkturabschwung reagierte die japanische Notenbank (BoJ) am Freitag mit einer symbolischen Senkung des Diskontsatzes von 0,5 auf 0,35 Prozent. Dies sei aber keine Rückkehr zur Nullzinspolitik, wie sie in Japan zehn Jahre lang gefahren worden war, betonte Notenbanchef Masaru Hayami. Mit dem Schritt reagierte die Bank in erster Linie auf den zunehmenden Druck der Politiker, die eine Lockerung der Geldpolitik als geeignetes Konjunkturstimulans betrachten. Symbolisch ist die Diskontsatzsenkung, weil sie die Konjunkturlage kaum beeinflusst, sondern nur als Instrument zur Überbrückung von allfälligen Liquidiätsproblemen im Bankensektor dienen kann.

Der Finanzsektor Japans steht wieder unter starkem Druck, nachdem die Börsenbaisse umfangreiche Aktienvermögen vermindert hat und das ewige Problem mit unbedienten Krediten nach der rekordhohen Konkurswelle vom abgelaufenen Jahr wieder akut geworden ist. Gemäß der japanischen Konkursdatenbank Teikoku gingen im vergangenen Jahr 18.800 Unternehmen bankrott und hinterließen einen Schuldenberg von 24 Billionen Yen (410 Mrd. Mark). Für das laufende Jahr werden besonders im Bau- und Immobiliensektor weitere Großkonkurse erwartet. Das drückt auf die Konsumstimmung der Bevölkerung, die eigentlich als Konjunkturmotor einspringen sollte. Denn rund 60 Prozent der japanischen Wirtschaftskraft hängen vom Binnenkonsum ab.

Es ist durchaus nicht so, dass die Japaner überhaupt nichts mehr kaufen würden. Nicht weit vom Restaurant Maruumo, das an Gästemangel leidet, eröffnete Fast Retailing, eine Discount-Kette für günstige Freizeitkleider einen Riesenladen unter dem Markennamen Uniqlo. Dort rennen täglich mehr als 2000 Kunden fast die Türen ein und nutzen die verbilligten Angebote. Während Fast Retailing zu den Gewinnern in dieser Wirtschaftskrise zählt, werden für den Wirt vom Maruumo die nächsten Monaten wohl schwer werden.