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Verhängnisvoller Sesselschlaf

Kaum eingenickt, schon eine tote Patientin auf der Couch: Jean-Jacques Beneixs „Mortel Transfert“ (Panorama)

Statt zu handeln lieber beobachten, statt zu beobachten lieber weggucken, statt wegzugucken lieber einschlafen – wer sich so kontrapunktiv zu allen genreüblichen Anforderungen eines Action-Films verhält, hat unsere Sympathie schon einmal sicher.

So müde ist schon lange kein Held mehr gewesen wie Jean-Hugues Anglade in „Mortel Transfert“. Als Psychoanalytiker Michel hat er aus den Anforderungen seines Gewerbes die einzig mögliche Konsequenz gezogen: Das Geplapper seiner Couch-Patientinnen lässt er in friedlichem Sesselschlaf über sich ergehen. Bis er einmal zu spät wieder aufwacht, zu spät für die routinierten Psychosprüche, zu spät für einen nächsten Termin. Die Dame auf der Couch ist tot, offensichtlich erwürgt.

Michel ist in einem verhängnisvollen Dilemma. Als Fachmann für die dunklen Seiten unserer Existenz muss er alles für möglich halten, also auch, dass er selbst unbewusst Hand angelegt hat. Als verschlafener Zuhörer erinnert er sich nur noch an Fetzen der Krankengeschichte, in der sich die Lösung des Kriminalfalles verbirgt: Es geht um Perversionen und Erpressung, Kleptomanie und Prostitution. Michel hat hat jetzt ein großes Problem: Wohin mit der Leiche?

Der Thriller wird zur Komödie à la „Immer Ärger mit Harry“, die Jagd nach dem Täter führt zu Szenen burlesker Erotik und zu Slapstick-Einlagen. In einer Art Eisstockschießen entsorgt Michel die tiefgefrorene Leiche vorübergehend in den Kofferraum seines Autos. Kaum lehnt er sich aufatmend in seinem Sessel zurück, muss er durchs Fenster hilflos mit ansehen, wie ein nächtlicher Streuner auf seinem Beutezug die Wagentür aufbricht. Der widerum erfährt den Schrecken seines Lebens, erstarrt kurz, macht kehrt, rennt das nächste Verkehrsschild um – und ward nie mehr gesehen.

In diesem Spiel mit dem Wechsel der Stile vermeidet der Regisseur Jean-Jacques Beneix das allzu Geschönte und entgeht so dem Vorwurf, der seinem ersten Film oft gemacht wurde, bei ihm bestimme das Design das Sein. Ein weiter Weg von der berühmten Einstellung, in der Nastassja Kinski als überirdische Erscheinung im roten Sportwagen unter einem strahlend blauen Plakat vorfährt („Der Mond in der Gosse“, 1982) bis zu dem besorgt erleichterten Dackelblick Michels in „Mortel Transfert“, mit dem er die kritischen Momente und die überraschenden Auflösungen um sich herum wahrnimmt. Und mit dem er Recht behält in seiner Haltung: Wer nicht wagt, gewinnt.

HELMUT MERKER

„Mortel Tranfert“. Regie: Jean-Jacques Beneix, Frankreich, 122 Min.

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