„Es ist noch ein weiter Weg“

Hajo Hoffmann, Präsident des Deutschen Städtetages, hält nichts von Schmalspurintegration.In der Green-Card-Diskussion sieht er aber eine große Chance für eine gelungene Ausländerpolitik

Interview VERONIKA KABIS-ALAMBA

taz: Die Diskussion über Zuwanderung nach Deutschland ist erst mit der Entscheidung für die Green Card wirklich in Gang gekommen. Bestimmt die Wirtschaft jetzt die Ausländerpolitik?

Hajo Hoffmann: Nein, hier hat vielleicht eine Koinzidenz verschiedener Annäherungsweisen an das Thema stattgefunden. Zuwanderung und Integration wurden bislang hauptsächlich unter einem emanzipatorischen oder einem demokratischen Gesichtspunkt diskutiert. Von unerwarteter Seite wurden diese Diskussionen nun durch die Forderung der Wirtschaft nach ausländischen Arbeitskräften unterstützt. Das macht es am Ende einfacher, denn damit wurden auf einmal auch die demokratischen Fragen sensibler angegangen, und die einseitige Polemik wurde weggenommen. Diese neuen Entwicklungen stellen insofern eine einmalige Chance dar.

Die Mitglieder der Zuwanderungskommission haben sich über Integrationsmodelle in verschiedenen Ländern informiert. Wo sehen Sie Modelle, die für Deutschland tauglich sind?

Es wird sicher kein Modell geben, das wir 1:1 übernehmen können. Wir können aber lernen, wie andere Länder mit Einwanderung umgehen. Außerdem muss man unterscheiden zwischen dem, was auf dem Papier steht, und der praktischen Umsetzung. In Deutschland sieht manches auf den ersten Blick schlimmer aus, als es ist. Andererseits ist es gewiss richtig, dass wir uns rechtlich gesehen enger verhalten als andere. Was die Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe und nichtstaatlicher Verfolgung im Asylrecht angeht, sind andere Länder uns voraus. Das Integrationsmodell, an dem wir uns sicher in vielerlei Hinsicht orientieren können, ist das niederländische. Im Kern besagt es, dass man nicht lange wartet, sondern schnell auf die Menschen zugeht, wenn absehbar ist, dass sie auf Dauer im Lande bleiben. Entscheidend ist eine optimale Sprachintegration, die ergänzt werden muss durch Hilfestellungen, die es den Zuwanderern ermöglichen, die Spielregeln der Gesellschaft zu erlernen. Wir brauchen eine richtiggehende Sprachoffensive; eine Schmalspurintegration halte ich nicht für sinnvoll.

Integration ist eine Aufgabe, die insbesondere die Kommunen leisten müssen. Haben sie sich der Herausforderung angenommen?

Integration bedeutet ja in erster Linie die Integration der unterprivilegierten Gruppen. Diese kann zum Beispiel in der Gemeinwesenarbeit geleistet werden. Selbst dort, wo der interkulturelle Ansatz bislang nicht klar als Auftrag formuliert wurde, wird er zwangsläufig kommen. Aber es ist sicher noch ein weiter Weg zur interkulturellen Öffnung der Kommunen, und ein undifferenziertes „Multikulti“ ist hier sicher nicht sehr hilfreich. Was wir brauchen, ist keine kulturelle Integration, sondern ein Respektieren der anderen kulturellen Wurzeln.

Neue Integrationskonzepte werden die Kommunen Geld kosten. Woher werden sie das nehmen?

Wenn es einen Integrationsauftrag vom Bund an die Gemeinden geben sollte, werden diese auch durch den Bund materiell ausgestattet. Das muss so sein!

Stichwort Partizipation: Migranten sind bis heute kaum an Entscheidungsprozessen in der Kommunalpolitik beteiligt. Ausländerbeiräte, die nur ein Mitsprache-, aber kein Mitbestimmungsrecht haben, sind Modelle aus den Achtzigerjahren. Müssen hier nicht neue Wege beschritten werden?

Ich persönlich vertrete schon lange die Auffassung, dass wir ein kommunales Wahlrecht für alle Migranten mit dauerhaftem Aufenthalt brauchen. Ausländerbeiräte ersetzen nicht das Wahlrecht und umgekehrt. Ich bedaure, dass bislang zu wenige Migranten und Migrantinnen in der Kommunalpolitik aktiv sind. Die Parteien – auch meine – müssen sich stärker öffnen und den Dialog aufnehmen. Ich denke, dass sie durch die jetzigen Diskussionen sensibilisiert sind und sich die Relationen künftig ändern werden.

Ein Jahr nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ist die Zahl der Anträge auf Einbürgerung weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Haben die Gemeinden zu wenig getan, um ihren ausländischen Bürgern und Bürgerinnen die Hand zu reichen?

Die Einbürgerungszahlen sollte man gelassen betrachten. Die Diskussion im Vorfeld verlief zu hektisch, und schließlich bleibt es die freiwillige Entscheidung jedes Einzelnen, ob er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen möchte oder nicht. Über ein offensiveres Werben für Einbürgerung müsste man nachdenken; im Deutschen Städtetag war dies bislang nie ein Thema.

Der öffentliche Dienst hat sich, von wenigen Arbeitsfeldern abgesehen, noch immer nicht ausreichend für Migranten geöffnet. Was tun Sie in Saarbrücken, um die Zahl der Migranten in qualifizierten Positionen innerhalb der Stadtverwaltung zu erhöhen?

Ich glaube hier nicht an eine Quotenregelung. Außerdem muss man nach Arbeitsfeldern unterscheiden. Die gering qualifizierten Arbeitsplätze gehören in vielen Kommunen ohnehin zu den Bereichen, die privatisiert werden und wo eine Steuerung dann nicht mehr möglich ist. Bei der Ausbildung ist es eher das quantitative Problem. Solange es generell zu wenig Ausbildungsplätze gibt, wird es schwierig sein, hier irgendwelche Sondermaßnahmen zu treffen. Ich weiß, dass es gerade für jugendliche Flüchtlinge ein Dilemma ist, dass sie in der Konkurrenz zu den vielen anderen arbeitslosen Jugendlichen zu kurz kommen.

Es wurde kritisiert, dass Migranten in der Zuwanderungskommission so gut wie nicht vertreten sind. Sollten sie über ihre eigenen Belange nicht mit entscheiden können?

Die Zuwanderungskommission hat Otto Schily zusammengestellt. Wir halten Kontakte zu einer Reihe von Experten, und viele Mitglieder führen, wie ich, den Dialog mit Vertretern von Migrantenorganisationen vor Ort. Es gibt aber auch das Problem der rivalisierenden Gruppen. Hätte der Innenminister die einen berufen, wäre er sofort gefragt worden: Warum die und nicht auch wir? Die Kommissionsmitglieder sind im Übrigen sehr arbeitsam und aufgeschlossen. In unseren Gesprächen kommt überraschend wenig Parteipolitik zum Ausdruck, und Polemik findet hier nicht statt.

Wann wird es in Saarbrücken den ersten Oberbürgermeister türkischer oder senegalesischer Abstammung geben?

Direktwahlen sind eher ein retardierendes als ein förderndes Moment. Ich denke, dass Politiker mit Migrationshintergrund eher in Kabinetten auf Bundes- und Länderebene ihren Platz finden werden. Das ist eine Frage der politischen Klugheit.