Bush Country

Die neue US-Regierung lehnt den Staat als regulierende Instanz weitgehend ab.Das wird Spuren hinterlassen – vor allem beim Umweltschutz und in der Sozialpolitik

Eher beschleunigtund radikalisiert derneue US-PräsidentEntwicklungen, die längst im Gang sind

Wer George W. Bush einen dornigen oder lahmen Amtsbeginn vorausgesagt hatte, wird dieser Tage eines Besseren belehrt. In seinen ersten beiden Wochen im Weißen Haus hat der Texaner einen fulminanten Auftritt geboten – gewiss begünstigt durch allerlei glückliche Umstände, auf die er in seiner politischen Karriere offensichtlich abonniert ist.

Die Aussicht auf Haushaltsüberschuss und Konjunkturflaute dämpft die Kritik an seinem Plan, die Steuern um 1,6 Billionen Dollar zu senken. Die Stromkrise in Kalifornien kommt gerade recht, um nach der Abschaffung lästiger Vorschriften gegen Luftverschmutzung zu rufen. Das eine hat zwar mit dem anderen nichts zu tun, aber die Öffentlichkeit ist vom Wähl- und Zählmarathon zu erschöpft, um auf Details zu achten.

Im Wahlkampf hörte man seitens der Demokraten dazu noch ein lautes „Mit uns nicht!“. Doch Bush Junior demonstrierte schon nach vier Tagen eindrucksvoll, was sein Vater in vier Jahren nicht lernte: die Kunst, den Gegner zu umarmen, dessen Ego zu massieren, und unermüdlich die Rolle als überparteilicher Friedensstifter zu betonen. So war kaum Widerspruch zu hören, als George W. Bush eines seiner zentralen Wahlversprechen einlöste: Per Exekutivorder sollen ab sofort Bundesgelder aus dem Sozialhaushalt an religiöse Organisationen fließen, die ihre Hilfe an Bedürftige mit Missionierung verbinden. Suppe, Obdach oder Jobvermittlung nur bei Teilnahme an der Bibelstunde und gewissenhafter Ausschau nach Jesus Christus.

Es wäre nun zu viel der Ehre, George W. Bush eine neue konservative Revolution zu bescheinigen. Eher beschleunigt und radikalisiert er Entwicklungen, die längst im Gang sind. Die Zäsur in der Sozialpolitik etwa hat sein Vorgänger Bill Clinton vollzogen. Der setzte 1996 mit seiner Unterschrift unter das neue Wohlfahrtsgesetz jenen sozialstaatlichen Grundsatz außer Kraft, wonach jeder Bürger staatliche Unterstützung erhält, wenn er die Kriterien der Bedürftigkeit erfüllt. Der Bezug von Sozialhilfe ist seitdem zeitlich begrenzt und hängt davon ab, ob der Antragsteller Arbeitsauflagen erfüllt, deren Ausgestaltung den einzelnen Bundesstaaten überlassen ist. Aus dem Anspruch auf Hilfe bei Armut ist wieder ein politischer Gnadenakt, ein Privileg geworden. Clintons Nachfolger hat mit seiner Exekutivorder das mögliche Spektrum der Auflagen lediglich um einen Punkt erweitert: die Forderung – Bush würde sagen: das Angebot –, sich religiös erwecken zu lassen.

Dieser offensichtliche Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Trennung zwischen Staat und Kirche wird demnächst die Gerichte beschäftigen. Die entscheidende Frage ist aber eine andere: Wie soll in Zukunft der amerikanische Föderalismus aussehen? Welche Rolle soll der Staat – genauer gesagt: der Bund – spielen? Mit seiner Kreation des „New Democrat“ hatte Clinton das Image seiner Partei als Hüterin des Big Government, des aufgeblähten Bundesstaates, korrigiert, der die weiße Mittelschicht mit Steuern schröpft und das Geld an notorisch jammernde Minderheiten weitergibt. Für diesen Zweck bediente sich Clinton ausgiebig im rhetorischen Fundus der Republikaner und ritt einige üble populistische Attacken gegen sozial Schwache. Gleichzeitig bestand er immer darauf, dass Washington nicht Synonym für einen bürokratischen Wasserkopf, sondern Sitz einer Zentralverwaltung ist, von deren Kompetenzen im Zeitalter des flexiblen Kapitalismus gerade die weiße Mittelschicht profitiert: bei Umwelt- und Verbraucherschutz, in Steuer- und Gesundheitspolitik.

Bush schlägt nun mit clintonschen Mitteln zurück. Mit seiner Kreation des „mitfühlenden Konservativen“ korrigiert er das Image seiner Partei als exklusiven, weißen Golfclubs und bedient sich für diesen Zweck ausgiebig bei der Symbolik der Demokraten. Für Bush ist der amerikanische Zentralismus, wie er sich seit dem New Deal ausgeprägt hat, überholt. Egal ob es sich um Gesetze zur Förderung von Minderheiten, zur Waffenkontrolle oder zum Mindestlohn handelt – sie sollen entweder gestrichen oder in den Kompetenzbereich der einzelnen Bundesstaaten zurückgegeben werden. Das ist nun schon seit Jahren das Bestreben der Republikaner.

Neu ist, dass Bush dies als Politik für Minderheiten verkauft – mit erstaunlichem Erfolg. Bei seinem Vorstoß in Sachen Religion und Sozialpolitik weiß er sich der Unterstützung zahlreicher afroamerikanischer und hispanischer Geistlichen sicher. Sein Plan, Eltern mit Schulgutscheinen zu Kunden auf einem wettbewerbsorientierten Bildungsmarkt zu machen, stößt gerade bei Schwarzen und Latinos auf Zuspruch. Die wünschen sich nichts sehnlicher, als ihre Kinder von desolaten Public Schools herunterzuholen und auf Privatschulen zu schicken.

Von einer festen Basis in der schwarzen Wählerschaft sind die Republikaner noch weit entfernt, aber Bush junior hat seiner Partei ein potenzielles Erfolgsrezept für die nächsten Jahrzehnte geschrieben, in denen der Anteil der weißen Wähler immer geringer werden wird. Nennen wir es compassionate rainbow conservatism. Die Zutaten sind Anti-Etatismus, Gottesfurcht und der Glaube, dass Armut keine Frage der Hautfarbe oder Herkunft mehr ist, sondern des individuellen Willens.

Es wäre zu viel derEhre, George W. Bush eine neue konservative Revolutionzu bescheinigen

Das ist nach zwei Wochen kein schlechtes Resümee für einen Präsidenten, dem die meisten nicht mal zugetraut haben, dass er sich die Namen seiner Staatsgäste merken kann. Wohlgemerkt: Hinter all dem steckt kein Mandat der amerikanischen Wählerschaft. Über George W. Bush muss man sich heute nur deshalb den Kopf zerbrechen, weil der Bundesstaat Florida nicht in der Lage war, die Stimmen für Präsidentschaftswahlen korrekt auszuzählen. Nur können die Folgen dieser Wahlfarce beträchtlich sein: Für mindestens vier Jahre stellt eine Partei die Regierung, die den (Bundes-) Staat als regulierende Instanz weitgehend ablehnt – zum Teil aufgrund ihrer Verbundenheit mit den Industrielobbys, zum Teil aus ideologischer Überzeugung. Beim Thema Umweltschutz wird diese Politik tiefere Spuren hinterlassen als in der Sozialpolitik. Denn Umweltschutz ist für die Bush-Regierung die Metapher für eine vermeintlich übermächtige Zentralverwaltung, die es zu beschneiden gilt.

In Florida werden übrigens immer noch Stimmen der Präsidentschaftswahl ausgezählt – dieses Mal auf Initiative mehrerer amerikanischer Zeitungen, die die normative Kraft der Faktischen nicht unwidersprochen hinnehmen wollen. Sollte sich herausstellen, dass Al Gore tatsächlich gewonnen hat, würde das natürlich nichts ändern. Aber es stünde fest, dass die Weichen für die Zukunft des amerikanischen Föderalismus durch ein paar kaputte Zählmaschinen und ein paar dubiose Gerichtsentscheidungen gestellt worden sind. ANDREA BÖHM