Die verlorenen Kinder

■ Lehrerinnen und Lehrer wollen eine Initiative für libanesische Kinder starten: Staatenlose sollen hierbleiben dürfen. Folgt der juristischen nun die politische Debatte?

Das Schicksal von Kindern wie Nowel El-Zein (Bild) schreckt jetzt Bremer LehrerInnen auf. Zumeist solche, die selbst SchülerInnen aus dem Libanon unterrichten, die akut von Abschiebung bedroht sind. In zwei Wochen soll Nowel mit ihren Eltern und Geschwistern in die Türkei ausreisen. Doch jetzt wächst unter LehrerInnen der Widerstand dagegen. Er speist sich vor allem aus Mitgefühl – ein Jahr, nachdem der Bremer Innensenator Bernt Schulte (CDU) medienwirksam „500 Asylbetrüger“ als „falsche Libanesen“ an den Pranger gestellt hatte, die als gebürtige Türken abzuschieben seien.

Auf einem ersten größeren Treffen am Dienstagnachmittag berieten 20 Abgesandte von Schulen, Kinderschutzbund, Jugendamt, Ausländerbeauftragter und Flüchtlingsinitiative, wie eine Wende herbeizuführen sei. „Unserer Meinung nach verdienen heute die Allerjüngsten und die Heranwachsenden unsere Solidarität, da ihnen Entwurzelung und dramatische Verelendung als Perspektive sicher sind (...)“, steht in einer gemeinsamen Erklärung, die nun an alle Bremer Schulen verschickt wird. Sie soll über die Gründe informieren, warum die „falschen Libanesen“ vor rund zehn Jahren nach Deutschland flohen. Darauf aufbauend fordern die LehrerInnen, dass die Politik „der ausweg- und perspektivlosen Situation“ dieser Gruppe von überwiegend Staatenlosen mit einer langen Leidensgeschichte endlich ein Ende bereiten müsse – wie es dem Geist der Ausländerintegration und der neuen Einwanderungsdebatte entspreche.

„Wir haben die Kinder doch hier groß werden sehen“, sagte Waltraut Lange-Poett vor den Versammelten im Lehrerzimmer der Grundschule Glockenstraße. Die Hemelinger Lehrerin steht im Kontakt mit der siebenköpfigen Familie, die im Herbst in die Türkei abgeschoben wurde. „Die Kinder gehen in der Türkei bis heute nicht in die Schule. Der Familie geht es richtig schlecht.“ LehrerInnen der Schulzentren Leibnizplatz und Neustadt, der Gesamtschule Mitte, der Grundschule Admiralstraße fürchten Ähnliches für die Zukunft ihrer Schützlinge. Doch sie fürchten auch: „Die Kampagne des Innensenators greift“. Die Formel vom „Asylbetrug“ schrecke viele KollegInnen ab, obwohl sich langsam herumspreche, dass sie den Einzelfällen menschlich nicht gerecht werde. Nachdem der Rechtsweg die betroffenen Familien bislang nicht weitergebracht hat, wollen die LehrerInnen nun die humanitären Folgen von Abschiebung ins Zentrum einer politischen Debatte rücken. „Wir alle, die Justiz, die Politiker und die Verwaltung sind gefragt, die Rechte aller Kinder unabhängig von Herkunft und Status anzuerkennen und Entscheidungen zum Wohle des Kindes zu treffen.“ Doch noch haben sie Zweifel, ob das gelingen wird: „Ich glaube nicht, dass wir für eine machtvolle Demonstration genug Leute zusammenbekommen“, sagt ein Schulleiter entschieden. Und ein Schüler vom Schulzentrum Rübekamp volontiert: „Sicher nicht vor Ostern. Da werden die ganzen Klausuren geschrieben.“

Weil die Zeit für die betroffenen Familien aber drängt, wollen die LehrerInnen nun am Rand der Bürgerschaftssitzung kommende Woche das Gespräch mit den SprecherInnen von Innen-, Jugend- und Sozialdeputation suchen. Das Ziel: Die bevorstehenden Abschiebungen sollen ausgesetzt werden. Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete will sich dafür einsetzen, dass das Treffen zustande kommt. Doch für das Treffen mit den LehrerInnen am Dienstag hatte die CDU bereits abgesagt. „Entscheidungen zur Abschiebung sind nach unserer Rechtslage zunächst Angelegenheit der zuständigen Verwaltung“, schrieb der CDU-Fraktions-Chef Jens Eckhoff. Diese Entscheidungen zu prüfen, sei Aufgabe der Judikative. Die Debatte von Einzelfällen sowie die dazugehörige Aktenbeschaffung, sei keine parlamentarische Aufgabe. CDU-Innensenator Bernt Schulte hatte zuvor an die Schule Glockenstraße geschrieben, dass nur dann eine verlängerte Bleibefrist für die betroffenen SchülerInnen erwogen werden könne, wenn das Ausbildungs-ende oder der Abschluss einer Schulstufe direkt bevorstehe. ede