Begegnung mit deutschen Immigranten

Viele Schulen tun sich schwer, mit den fremdenfeindlichen Haltungen ihrer Schüler umzugehen. Ein Berufsbildungswerk in Nordrhein-Westfalen hat sein Rezept gefunden: Die Auszubildenden sollen „die Fremden“ als Eigene kennen lernen. Bericht von einem deutsch-deutschen Rittermahl

BONN taz ■ Enrico schleudert Suppe in die Schalen der Laienritter. Bald fliegen abgenagte Knochen durch den Saal. So sieht Essen à la Mittelalter aus, in Brandenburg zum Abschluss eines Ost-West-Projekts: Die auszubildenden Köche (Azubis) aus dem märkischen Wahlsdorf bewirten Malerlehrlinge vom Berufsbildungswerk im nordrhein-westfälischen Neuss.

In den langen Haaren von Lackierer Sven landet ein fettiger Fleischbrocken: „Wer war das?“ Nicole aus Wahlsdorf, petzen die anderen. Sven schleudert einen Rotkohl und trifft Nicole. Ende der Beziehung? „Mit dem Austausch sollen Vorurteile abgebaut werden“, erklärt Ausbilder Reinhard Sinemus, Initiator des Projekts, das die Bundesanstalt für Arbeit finanziert. „Wir haben uns Kontaktspiele für die Jugendlichen ausgedacht, doch die waren uns immer einen Schritt voraus“, grinst der Betreuer selbstironisch. Formell sozialpädagogisch heißt das: Die praktische Arbeit habe die Jugendlichen zusammengeführt, so Sinemus. Die Maler aus Neuss strichen die Internatszimmer in Wahlsorf in Orange-Blau. Die Brandenburger revanchierten sich mit einem großen Essensgelage für die Westler.

Nun, beim Rittermahl, droht die wunderbare Projektharmonie zu schwinden. Zunächst. Doch die Schulabbrecher, die in Qualifizierungspogrammen ausgebildet werden, schaffen es, den Konflikt selbst zu lösen. Sven war wütend, weil Nicole sich nicht freiwillig gemeldet hat. Und die Köchin in spe hatte Angst: „Ich dachte, er verprügelt mich.“ Gewalt als Alltagserfahrung? „Man hört fast jeden Tag was, meistens über Angriffe auf Ausländer“, berichtet Romi. Sie ging in Königswusterhausen zur Schule: „Es war schrecklich, auf dem Pausenhof überall Spiegelglatzen.“

Auch im Wahlsdorfer Internat gäbe es einige Rechtsgerichtete, räumt Ausbilderin Vilma Trempler ein. Dabei kommen viele ostdeutsche Jugendliche, insbesondere die aus Kleinstädten und Dörfern, nie in Kontakt mit Ausländern und anderen Kulturen. Das Projekt hatte auch dazu ein Angebot – bei einem Extraevent in Bonn.

Die Azubi-Köche aus Brandenburg durften bei einem Multikultitreffen im Januar erstmals französische Küche kosten, zubereitet diesmal von Jugendlichen aus Marseille. „Wie heißt noch mal diese Art Hustensaft, von dem man so schön betrunken wird?“, fragt Katja. Pastisse. Enrico erinnert sich so: „Bei der Olivenkreme zieht sich der Mund komisch zusammen.“

Die deutsch-deutsche Combo, Marseiller afrikanischer Herkunft und Azubi-Näherinnen aus Neuss, deren Herkunftsländer von Marokko bis Armenien, von der Türkei bis Sibirien reichen, nehmen teil an einem einwöchigen Seminar über Ausländerfeindlichkeit vom IKAB-Bildungswerk Bonn mit Unterstützung des Französischen Jugendwerks.

Alle Kulturen im Haus Venusberg unter einen Hut zu bringen, führt schon mal zu Konflikten im Betreuerteam: Sinemus schlägt geschlechtergetrennte Gruppen vor wegen der Musliminnen, die im Frauenzirkel aufleben. Trempler votiert dagegen, schließlich wird Koedukation, Erbe der DDR, in den neuen Bundesländern groß geschrieben. Den Zuschlag erhalten die Musliminnen.

Theaterpädagogin Maria Goriua lässt jedes Mädchen ein Denkmal formen, indem sie Arme, Beine und Oberkörper der Partnerin bewegen. Die so entstandene Gestik und Haltung soll einen Satz über Ausländerfeindlichkeit bebildern. Lilith aus Armenien stellt eine lachende Figur dar, die mit dem Finger nach vorne zeigt: „Menschen lachen über andere, obwohl sie sie nicht kennen.“ Eine Erfahrung, die die transkulturelle Näherinnengruppe eint.

„Mich nervt es, wenn ich zum hundertsten Mal wegen meines Kopftuchs angesprochen werde“, sagt Eische, Türkin mit deutschem Pass, die nur zum Urlaub in das Land am Bosporus fährt. „Warum ist das so wichtig, es ist doch nur ein gewickeltes Tuch“, ereifert sich Feisa, deren Eltern aus Marokko kommen. Gewalttätige Übergriffe haben die Neusser MigrantInnen noch nie erfahren müssen. Auch die afrikanischen Franzosen nicht. „Wir leben in einem Stadtviertel mit vielen Kulturen“, dolmetscht Barbara Zimmer Nicolas Äußerung. Nur in die Disco kämen sie manchmal nicht rein. Sorgen machen den Jugendlichen vor allem die vier Städte um Marseille, in denen die Front National im Stadtrat sitzt. Und: „Für uns ist es schwierig, eine Arbeitsstelle zu bekommen“, erzählt Sabah. Das können die deutschen Kopftuchträgerinnen bestätigen.

Nach dem Essen – die Franzosen starren leicht fassungslos auf das typisch deutsche Abendbrot – wird getanzt: Techno, französischer Hiphop und türkischer Pop. Gespräche am Rande: „An Deutschland finde ich die Krankenhäuser gut“, erklärt Eische. In der Türkei müsse man eine Stunde warten, bis ein Krankenwagen anrollt. „In Armenien kommen sie erst gar nicht“, wirft Lilith, die vor acht Jahren nach Deutschland kam, ein: „Sie fragen erst, ob du das Benzin bezahlen kannst.“

Während in vielen Gymnasien noch um den goldenen Weg gegen Ausländerfeindlichkeit gerungen wird, scheinen die rührigen Berufsbildungswerke ein probates Mittel gefunden zu haben: praktische Arbeit und Austauschprogramme. Grundlage ist die schlichte, oftmals als Multikulti-Plattitüde belächelte Einsicht: Wer dem Fremden begegnet, dem erscheint er weniger fremd. ISABELLE SIEMES