Der seltsame Heilige

Angst auf der Veranda: Jim White erzählt in seinen Songs von den dunklen Geheimnissen des Südens und einem Leben, das nicht vorangehen will. Verschlungen ist auch die Vita des Wahl-New-Yorkers

von ANDREAS BECKER

Wenn Bescheidenheit tatsächlich eine Zierde sein sollte, dann ist Jim Whites Cowboyhut mit der Aufschrift „JIM“ vorne drauf eine Krone. Anders als so viele Angeber im Popbusiness begegnet einem White mit einer gut gelaunten Nettigkeit, die schnell ansteckend wirkt.

White, der Ende 1996 bei David Byrnes Plattenlabel Luaka Bop mit „Wrong-Eyed Jesus“ sein bislang einziges Album veröffentlichte, hat einen Riesenhunger, als er mir an einem regnerischen Sautag im Januar auf der Oranienburgerstraße direkt in die Arme läuft. Erkennungszeichen: Strohcowboyhut. Bevor er und seine Pressebetreuerin ihr Zimmer im wenig glamourösen „Hotel am Scheunenviertel“ beziehen, gehen wir in eine Billigpizzeria. White warnt mich gleich, er rede sehr gern und viel.

White hat aber auch viel zu erzählen: Seine Geschichte klingt wie ein Popmärchen vom erfolglosen Jungen, der es doch noch irgendwann schafft. Zwanzig Jahre hat er eine Kassette mit seinen Songs bei Freunden rumgereicht. „Mit dir würde ich niemals zusammen Musik machen, deine Musik ist Schmerz“, war noch einer der freundlicheren Kommentare, die er erntete: Düster sei sein Zeugs, üble Laune bekomme man davon. Von Drogensüchtigen und Gescheiterten, von verkappten Jesusfreaks wollte keiner hören – jedenfalls nicht von Jim. Also fuhr er Taxi. Nicht irgendwo, nicht mal kurz als Job. Zehn Jahre chauffierte der gebürtige Kalifornier und Sohn eines Navy-Militärs Leute durch New York. Er schaut von seiner Pizza auf und fixiert mein Sony-Aufnahmegerät. „Die Kiste, auf der ich meine Songs aufgenommen habe, war billiger als dein Recorder.“ Nicht mal genug Knete hatte er, um öfter auf Konzerte zu gehen: Die Knitting Factory kennt er nur von Taxitouren.

Haben zehn Jahre New York seine Songs geprägt? Nein, sagt White. „Das war auf eine Art zu real. Das ist nicht Teil meiner Mythologie.“ Was ihn wirklich umtreibe, sei der Süden – der Süden ließe ihn seine Songs schreiben („South feels like an imaginary land“). Tatsächlich klingt auch seine neue, recht heterogene Platte nicht nach der Vertonung chaotischer Metropolengeschichten. Whites’ Welt ist irgendwo anders angesiedelt. Irgendwo „da draußen“: Als würde jemand von seiner Veranda aus aufs Buschland schauen und in der Einöde seine Ängste, Albträume und Sehnsüchte gespiegelt sehen. Da draußen steht dann vielleicht ein Auto, schon ewig unter Dreck und Sand am Vergammeln. „Corvair“ steht auf dem Heck. „No Such Place“ ist Whites Nichtzuhause und Definitionsort für einen Song, der schaudern lässt in seiner Schlichtheit, der mit Pathos und ein paar quietschigen Gitarrengriffen recht viel über ein Leben auszudrücken scheint, das nicht vorangehen will: „It’s a home for birds now. It’s no longer a car.“

White selbst fühlte sich früh als Fremder im eigenen Land. Sein Paps verließ ihn und seine Mutter, da war er fünf, und wo er von nun an wohnte, galt er als Yankee, als Nordstaatler. Rassismus und merkwürdiger Heiligenkult paarten sich mit Leuten, die sich einen Tag Flaschen über den Kopf zogen, um den nächsten von Moral und Familienwerten zu predigen. „City of White Trash“ nennt er sein Kaff.

White isst und redet und zeigt plötzlich mit der Gabel auf seine Hand: Drei leicht verkrüppelte Finger hat er, von irgendeinem Scheißunfall. Nein, mit David Byrne war er zwar tatsächlich mal auf Tour, aber in seiner Band mitgespielt habe er nicht, dazu sei er ein viel zu schlechter Instrumentalist. „Da spielen nur richtig gute Musiker mit.“ Da schwingt keine Koketterie mit: White weiß einfach, dass er Schwein gehabt hat. Eine seiner Kassetten gelangte über mehrere Hände in David Byrnes Tapedeck, und der lud ihn plötzlich zu einem Gespräch in sein New Yorker Büro. „Ich dachte: Das träumst du jetzt nur, dass du hier bei denen im Hochhaus sitzt.“ Längst hatte White den Musikquatsch innnerlich abgehakt. Eigentlich arbeitete er an einem Drehbuch und lernte das Filmhandwerk an der renommierten New Yorker Filmhochschule NYU. „Zeig mir mal das CD-Cover. Ah, da ist die Stelle: Das kommt auch in mein Drehbuch rein.“ White gibt mir seine eigene Story zurück. Die Vierzehn-Seiten-Geschichte über Leute, die einen falschäugigen Jesus anhimmeln, erschien Byrnes Luaka Boppern eigentlich zu abgedreht und zu umfangreich, als dass man sie hätte in ein CD-Booklet drucken können. „War denen zu teuer.“ Trotzdem haben sie es schlussendlich gedruckt.

Was es mit seiner Religiosität auf sich hat, ist nicht so recht aus dem Sänger rauszubekommen. Jedenfalls war es für ihn ziemlich absurd, diesen Plattenvertrag zu bekommen, nachdem er sein Filmstudium erfolgreich abgeschlossen hatte: „Ich hätte lieber zur Plattenschule gehen sollen.“

Unter White’s Hut verbirgt sich ein recht geschmeidiges Gesicht, jenseits der vierzig hat er sich recht gut gehalten. Tatsächlich war White als junger Mann so hübsch, dass eine Freundin ihm, als er mal wieder pleite war, vorschlug, es solle es doch mal als Model versuchen. So landete Jim in Deutschland. Wohnte in Stuttgart und Frankfurt. Er war das „Ersatzmodel“ für Kataloge von Neckermann und C&A. Fotoshootings brachten ihn nach Italien, das war so um 1982.

Leben kann White von seinem kleinen Meisterwerk „Wrong-Eyed Jesus“ (den Titel hatte sich Byrne ausgedacht) nicht so recht. Er wohnt mit Frau und einer kleinen Tochter in Florida wieder in einem Kaff mit miesem Lebensstandard. „Aber es ist viel, viel billiger als New York.“ Sein Haus hat er von den Tantiemen angezahlt, die er für einen Song eines Hollywoodfilms kassierte. „Ich hatte nie viel Geld. Ich hoffe, die Plattenfirma verdient an meiner Platte, echt. Ich bin denen wirklich dankbar.“

Auf seinem neuen Album haben fünf verschiedene Produzenten Songs gemischt. Unter anderem Morcheeba, der Sade-Entdecker Andrew Hale und Sohichiro Suzuki vom Yellow Magic Orchestra. Wenn „No Such Place“ ein Erfolg wird, würde White gern eine Europatour machen. Sonst ist das zu teuer.

Wir schlendern zurück zu seinem Hotel. Und als er so hinter der Straßenbahn verschwindet, sehe ich ihn kurz, den Heiligenschein um seinen Cowboyhut, der auch auf seiner ersten Platte leuchtet. Good luck, Jim!

Jim White: No Such Place (Luaka Bop)