GENTECHNIK: ES DROHT RASSISTISCHE UND SEXISTISCHE DISKRIMINIERUNG
: Never clone alone

Es ging dann doch schneller als erwartet. Überrascht hat es indes kaum noch jemanden: Severino Antinori, katholischer Frauenarzt aus Rom, und Panos Zavos, Reproduktionsmediziner griechischer Abstammung aus Kentucky, haben angekündigt, Menschen zu klonen. Die beiden sind keine Anfänger auf dem Gebiet der Grenzüberschreitung: Antinori hatte 1996 einer 62-Jährigen durch künstliche Befruchtung zu einem Kind verholfen. Vor zwei Jahren züchtete er dann menschliche Spermien in Rattenhoden und injizierte sie einer Frau. Das neueste Projekt, die Geburt geklonter Kunstwesen, ist für den Sommer 2002 geplant. Der Homo Xerox soll „im Mittelmeerraum“ zur Welt kommen. Wo genau der Kreißsaal stehen wird, werden die Menschenmacher vorerst nicht verraten. Der Regierungschef des betreffenden Staates sei jedoch bereits unterrichtet. Das ist tröstlich, man will ja schließlich wissen, was in seinem Lande vorgeht.

Für uns, die wir weder Staatschefs noch Mittelmeeranrainer sind, bleibt nur das große Staunen: über die rasante Geschwindigkeit des Wertewandels in der Gentechnik und Reproduktionsmedizin und über die Argumentation, mit der die Mediziner ihr Kopierwerk rechtfertigen. Zur Erinnerung: Nachdem 1997 die Nachricht vom Klonschaf Dolly bekannt wurde, war sich alle Welt einig, dass es geklonte Menschen niemals geben darf. Nur ein paar Exzentriker und die Mitglieder einer dubiosen Ufo-Sekte fanden eine Vervielfältigung ihrer selbstverliebten Egos reizvoll. Die Front der Ablehnung ist inzwischen löchrig geworden. Und der geplante Tabubruch am Mittelmeer hat eine Vorgeschichte: In Großbritannien ist vergangenes Jahr das „therapeutische Klonen“ mit embryonalen Stammzellen erlaubt worden. Einzelne Gewebe werden bereits aus der Retorte hergestellt. Wer klonen will, fängt zunächst klein an.

Über den Umweg des therapeutischen Klonens von Geweben und die ferne Aussicht auf Behandlungsmöglichkeiten scheint nun auch das „reproduktive Klonen“, die Vervielfältigung ganzer Menschen, zunehmend akzeptabel zu werden. Warum auch an Details herumdoktern, wenn der Homo sapiens komplett erschaffen werden kann? Allerdings haben Antinori und Zavos feste Vorstellungen, wer von dem von ihnen proklamierten „Menschenrecht auf Kinder“ Gebrauch machen darf. Zehn Paare sind bereits ausgewählt, sie sind alle weiß, heterosexuell, zwischen 28 und 40 Jahre alt – außerdem soll bei allen Paaren definitiv nur der Mann geklont werden. Die Männer ertrügen es nicht, als Kopie „nur“ ein Ebenbild der Frau zu erhalten, weiß Antinori. Homosexuelle würde der Mediziner niemals klonen, da hat er seine Prinzipien. Die wahrscheinlich hohe Zahl der Fehlversuche, Fehlgeburten und Fehlbildungen bei den Klonversuchen sei wohl leider nicht zu verhindern. Immerhin gäbe es ja die Möglichkeit einer „therapeutischen Abtreibung“.

Derartig krude Wortschöpfungen, besonders aber die Auswahlkriterien für die Klonerei zeigen, wie sehr die Bewertung von Reproduktionsmedizin und Gentechnik davon abhängt, ob bestehende Vorurteile bekräftigt oder angegriffen werden. Es scheint, als ob die Grenzüberschreitungen akzeptabel oder sogar wünschenswert werden, solange sie hergebrachte Werte und die Trennung der Ethnien nicht erschüttern: Weiße, heterosexuelle Männer, die sich klonen lassen wollen, passen ins Bild – auch wenn der Zeugungsvorgang noch etwas gewöhnungsbedürftig ist.

Die Sache sieht jedoch anders aus, wenn beispielsweise die Gentechnik homosexuellen Paaren oder allein stehenden Lesben zu Kindern verhilft oder einer schwarzen Mutter weißen Nachwuchs verschafft. Dann erscheinen althergebrachte Werte in Gefahr, und Technikkritik wird vorgebracht. Hier zeigt sich: Die Kritik „selektiert“, und es kommt darauf an, ob die neue Technik – sozial akzeptabel – gute Gene bei „guten“ Menschen fördert oder (wie auch immer geartete Gene) bei „schlechten“ Menschen, die in falschen Beziehungen oder zweifelhaften sozialen Strukturen leben. In der Diskussion um Grenzüberschreitungen durch neue (Gen-)Technologien geht es um Wertvorstellungen und Vorurteile sowie um rassistische, sexistische und andere Diskriminierung.

WERNER BARTENS

Redakteur der Badischen Zeitung und Autor des Buches „Die Tyrannei der Gene. Wie die Gentechnik unser Denken verändert“ (Blessing Verlag).