Punktsieg für Walter Riester

Dieselben Kräfte, die ihn vor Wochen noch wegen seines Rentenentwurfs zu einer Klarstellung drängten, sind dem Arbeitsminister heute wohlgesinnt

Walter Riester hat im Gegensatz zu Werner Müller einen Vorteil, der in der SPD noch immer zählt: Er ist seit Jahrzehnten Mitglied der IG Metall

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Es ist schon eine Seltenheit, dass ein Minister sich bloßstellt. Werner Müller, der Wirtschaftsminister, tut es ungeniert: „Wenn mein Vorgehen in den letzten Wochen irgendjemand im Regierungslager irritiert haben sollte, so entschuldige ich mich dafür, nicht aber für die entgangene Vorfreude bei der Opposition.“ Walter Riester, der an diesem Mittwochmorgen neben ihm im Saal der Bundespressekonferenz sitzt, lacht. Herzhaft, als würde auch von ihm eine Last fallen.

In der Nacht zuvor hatte sich eine Runde im Kanzlerbungalow, an der neben Gerhard Schröder die beiden Minister, die Grünen-Fraktionsspitze, der SPD-Fraktionschef Peter Struck und der Kanzleramtsminister Walter Steinmeier teilnahmen, auf einen Kompromiss im Streit um die Mitbestimmungsnovelle geeinigt. Elf von 26 Punkten auf Müllers Änderungsliste wurden bedacht. Die Zahl betont Riester. Nicht nur in der Pressekonferenz nach dem gestrigen Kabinettsbeschluss, sondern wenig später auch in der Fragestunde des Bundestages. Die andere nennt er nicht. Wohlweislich. Denn es bleiben ja 15 Punkte, die Müller nicht durchbrachte. Fünfzehn zu 11 – das ist ein Ergebnis, das Riester vorzeigen kann. Zumal er sich in wesentlichen Punkten, etwa bei der Freistellung von Betriebsräten schon ab 200 Arbeitnehmern, durchgesetzt hat. Dafür wird die Freistellung bei größeren Betrieben etwas geringer ausfallen.

Walter Riester ist obenauf. Dieselben Kräfte, die ihn vor drei Wochen noch wegen seines Rentenentwurfes in allerletzter Minute zu einer Klarstellung drängten, sind ihm nun wohlgesinnt. Am Morgen war er von einer Gruppe demonstrierender Gewerkschafter vor dem Kanzleramt mit Applaus bedacht worden. So schnell kann es gehen.

Noch vor Weihnachten, mitten in den Turbulenzen der Rentenreform, war in den Medien über Riesters Ablösung spekuliert worden. In seiner Umgebung spürt man jetzt den Auftrieb. Man dürfe „aber nicht überdrehen“, heißt es, der Minister müsse auch lobende Worte für Müller finden. Denn der Bundeswirtschaftsminister, der im Gegensatz zu Riester kein SPD-Mitglied ist, sieht aus wie ein Alleingelassener. Hatte nicht der Kanzler selbst in einem Redemanuskript für das SPD-Präsidium vor zehn Tagen klargestellt, dass ihm die Mitbestimmung nicht nur am Herzen liege, sondern dass er für den 14. Februar auch einen Beschluss des Kabinetts erwarte?

Zum ersten Mal in seiner Amtszeit sandte Schröder klare Signale an den Gewerkschaftsflügel der SPD aus. Die von Rot-Grün zurückgenommenen Verschärfungen zu Beginn der Legislaturperiode, so bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, waren bis dato in weiten Teilen der SPD Oskar Lafontaine zugeschrieben worden. Müller drohte in dem Konflikt zum Opfer zu werden. Vielleicht auch deshalb betonte er gestern das Gemeinsame. Schon vor einiger Zeit hätte der Kanzler Riester und ihn gebeten, für die Sitzung vor der Kabinettsentscheidung einen „einvernehmlichen Vorschlag“ vorzulegen. Dieses „Führungskonzept als Verbindung von Freiheit und Vertrauen bindet mich an den Herrn Bundeskanzler“.

Manche Beobachter hatten vermutet, der Streit um die Mitbestimmung sei eine inszenierte Zuspitzung, an dessen Ende wieder eines der berühmten Machtworte Schröders stünde. Das müsse er „von Herzen dementieren“, sagt Müller, und Riester ergänzt, weder sei ein „Drehbuch geschrieben“ worden noch arbeite er nach einem solchen. So wird wohl stimmen, was bereits vor einer Woche der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Schmidt, verwundert festgestellt hatte: dass da zwei an „einem Kabinettstisch nicht zueinander kommen“.

Es bedurfte der 26 Thesen Müllers, damit sie nun miteinander kommunizierten. Er sei, sagt Müller, auf eine „ungewöhnliche Art und Weise zum Gesprächsprozess mit Herrn Riester gekommen“. Hätte der vorher gewusst, dass „ich ein angenehmer Gesprächspartner bin, wäre das nicht nötig gewesen“. Müller gibt sich reumütig, hatte er doch selbst mit einigen Formulierungen Rücktrittsgerüchte gefördert. Manchmal, sagt der frühere Manager, mache er in seinem Amt „etwas intuitiv, weil ich dieses Fach nicht gelernt habe“. Das ist eines der wenigen Dinge, die Müller mit Riester verbindet. Auch der ist kein gelernter Politiker. Aber im Gegensatz zu Müller hat Riester einen Vorteil, der in der SPD zählt: Er ist in der IG Metall. Das kann im Streit um die betriebliche Mitbestimmung den Ausschlag geben.