„Ich bin kein Mann“

Del LaGrace Volcano war nicht immer so selbstbewusst wie heute. In der Jugend wuchs ihr nur eine Brust und Barthaare sprossen. Heute nennt sie sich „er“ und arbeitet als Fotograf vor allem mit Menschen, die so sind wie er: uneindeutig in der geschlechtlichen Identität

von ANDREA ROEDIG

Der linke Schneidezahn ist aus Silber. Geschickt schiebt er ihn mit der Zunge heraus und bewegt ihn vor der Zahnlücke hin und her. Warum Silber? „Ich mochte das“, sagt er. „Ich habe auch einen weißen Zahn zum Aufstecken, aber der passt nicht mehr richtig.“ Klein ist er, ein bisschen pummelig. Er besticht mit einer sanften Stimme, sanftem Blick, weichen Bewegungen und britisch anmutendem Humor. Ein Bärtchen schmückt das Kinn; wenn er nachdenkt, streicht er sich mit der Hand über den Kopf und dreht aus den kurzen Haaren über der Stirn eine Locke.

Auf den Fotos, die zeigen, wie er seine Freundin Simo fickt, sind deutlich die Tätowierungen an Arm und Bauch und zwei üppige Brüste zu erkennen. Die sind nicht beide echt. „In der Pubertät wuchs mir eine Brust, enorm und groß, die andere wuchs gar nicht“, erzählt er. Mit sechzehn ließ er sich operieren. Er wollte, dass man die eine Brust um die Hälfte verkleinerte und daraus eine zweite machte, doch stattdessen nahmen die Chirurgen von der vorhandenen Brust nur wenig weg und verpassten ihm eine zweite aus Silikonimplantat. Er sieht immer noch unglücklich aus, wenn er sich daran erinnert. „Ich fühlte mich wie ein Monster, wie ein gestopftes Huhn.“

Del LaGrace Volcano ist Fotograf, geboren 1957 in Kalifornien, seit 1982 lebt er in London. Den Eingriff der Chirurgen nahm Volcano damals als Weisung des Schicksals, er habe als Frau zu leben. Da sein Begehren sich auf Männer wie Frauen richtete, definierte er – damals sie – sich als bisexuell. Früh hatte Del etliche Liebhaber, aber nie feste Partner. Von dem beginnenden Bartwuchs merkte keiner etwas. „Ich stand sehr früh morgens auf, um mir die sprießenden Haare im Gesicht auszuzupfen. Stück für Stück. Es war sehr viel Scham in mir.“

Volcanos Fotos sind von monströser Sinnlichkeit. Riesige Kerle mit fleischigen, tätowierten Armen, von denen wir wissen, dass es Frauen sind. Ein zartes jungenhaftes Geschöpf mit kleinen Brüsten und großer hervorstehender Klitoris. Nahaufnahmen von Intersexgenitalien. Schamlippen, aus denen ein kleiner Penis zu spießen scheint. Drei füllige Frauen auf einer Treppe tragen ihre Oberkörper nackt wie Bauarbeiter, Arme vor der Brust verschränkt, die Bäuche hängen überm Hosenbund.

Der Name Volcano stammt von Del LaGraces zweitem Ehemann. Mit dem schwulen Jimmy Volcano hatte die ehemalige Della Grace eine kurze Affäre und heiratete ihn „wegen des Namens und seiner Lederhosen“. Er und vor allem die langjährige Geliebte Simo waren es, die Volcano in einer ambivalenten Geschlechtsidentität unterstützen und darin, die Barthaare wachsen zu lassen. „Es gibt viele Frauen mit Bärten, doch die leben in Lesbenland“, erklärt Volcano, „irgendwo in der Wildnis, abgeschlossen und völlig unter sich. Aber ich wollte in der Stadt leben.“ Ein Frauengesicht mit Bart provoziert Aggressionen. Für einen Dragking-Wettbewerb wagte Volcano es dennoch und ließ den Bart stehen, „was sollte ich ihn anmalen, ich hatte ihn ja“.

Volcanos Fotos rühren an Tabus. Das erste davon ist weibliche Maskulinität. In „The Drag King Book“ bebildert er die eigene erotische Vorliebe für Frauen, die Männer darstellen. Da stehen die Damen in Anzug und Krawatte. „Elvis Herselvis“ mit geschwärztem Haar und Stirntolle. Uncle Loise wie ein fetter Truckfahrer, mit Tropfenglassonnenbrille, Zigarre und Basecap, sieht sich Schwulenpornos an. Auch der blow job am fleischfarbenen Dildo darf nicht fehlen. Der Bart, ehemals Scham, wird zum Fetisch. Die Übergänge von Spaß zu Ernst sind fließend. Die Dragking-Performance reicht von der Persiflage bis zur drastischen Aneignung dessen, was an Männern nicht eben das Sympathischste ist: das bierselige, breitbeinige Raumeinnehmen.

„Viele heterosexuelle Frauen, aber auch Lesben sind empört über meine Bilder. Frauen haben Angst vor ihrer Männlichkeit.“ Volcano will mit seinen Bildern vor allem der „aufgezwungenen“ faden Androgynität in der Lesbenszene etwas entgegensetzen. Er fühlt sich Frauen nahe, aber er kann es nicht leiden, wenn sie sich so bescheiden zurücknehmen. „Männer sind die Ursache der meisten Probleme auf der Welt, aber aus Männlichkeit einen Feind zu machen, ist sehr gefährlich.“ Volcano hat mit den Pronomen gespielt, sich als „herm“ oder „s/he“ bezeichnet und hat es nun beim „he“ belassen. „Ich bin kein Mann, ich fühle mich super feminin, aber es ist viel einfacher, als ein Mann zu leben.“ Das ist ein feministisches Programm.

Als bei einer Blutuntersuchung festgestellt wird, dass er einen für eine Frau ungewöhnlich hohen Testosteronspiegel hat, nimmt Volcano gleich noch kleine Dosen des männlichen Hormons hinzu. Stimmungsschwankungen hören auf, die bis dahin unregelmäßige Periode setzt ganz aus. Eine Untersuchung im vergangenen Jahr ergab, dass genetische Ursachen am Anfang der ganzen Geschlechtsverwirrung stehen könnten. „Man fand bei der Analyse ein XXX0-Chomosom, eine Mosaikmutation. Ich habe Ovarien mit Hodengewebe – wie das genau aussieht, würde man nur erkennen können, wenn man mir die Gebärmutter herausnähme.“ Volcano, der Gender Terrorist, glaubt an die Biologie und ist erleichtert, eine Erklärung gefunden zu haben. Nun kann er sich auf die Eindeutigkeit des Uneindeutigen festlegen. Das Testosteron hat er wieder abgesetzt, denn er will „natürlich sein“. Und den beginnenden Haarausfall stoppen . . .

Intersex, meint Volcano, ist das letzte große Tabu. Genau dorthin führt der neue Fotoband „Sublime Mutations“, eine Retrospektive von Arbeiten der vergangenen zehn Jahre. Porträts von transsexuellen Männern zeigt der Band, und von Menschen, deren Geschlecht sich nicht bestimmen lassen muss. Die neueren, wesentlich intensiveren Arbeiten gehen immer näher an den Körper heran. Die Serie „Transgenital Landscapes“ etwa zeigt gepiercte Zungen, die sich berühren, einen Mund, der einen Penis verschlingt. Ganz dicht führt Volcano die Kamera. Wenn man so nah ist, im Makrobereich, verschwindet das Geschlecht. Es wird zur bloßen Form, zur Farbe. Seit einigen Jahren kann Volcano von seinen Fotografien leben. „Mit dem ganzen Sexzeugs ist aber jetzt Schluss“, sagt er. „Ich hab genug davon“. Die lesbischen SM-Szenen, die hierzulande noch Aufsehen erregen, sind für ihn langweilig geworden.

Volcanos Fotografien sind Bilder von einem, der auszog, die Schönheit zu finden. Der Künstler ist eitel, doch er hat ein Problem: „Ich dachte immer, um attraktiv zu sein, müsste man feminin wirken. Ich war nie weiblich genug. Ich wusste, dass ich nicht schön bin.“ Als heterosexueller, biologischer Mann hätte Volcano wohl weibliche Models vor die Kamera gestellt, als uneindeutiges Geschlecht aber porträtiert er jene, die ihm ähnlich sind. Seine Fotos lassen sich lesen wie ein Bilderbuch zu Judith Butlers Theorie von der „Performativität des Geschlechts“. Sie lassen sich lesen als Biografie und Familienalbum. „Es gibt keine Opfer in meinem Buch“, sagt der Fotograf. „Es gibt nur Helden. Und ich will mehr Menschen wie mich, ich will nicht alleine sein.“

Volcanos Fotos experimentieren, sie suchen, und weil sie suchen, verführen sie. Am meisten aber demonstrieren sie, wie verpönt es ist, als Frau den männlichen Habitus einzunehmen. Maskuline Frauen, vernarbte Haut, nicht lesbare Geschlechter – es ist eine Gratwanderung zwischen Kitsch und Wahrheit. Volcanos Porträts und erotische Arrangements wirken zugleich inszeniert und vollkommen authentisch. Geschlecht ist beides, Pose und innerste Wahrheit des Begehrens, die Fleisch gewordene Synthese aus Wunsch und Wirklichkeit.

„Wie groß bist du eigentlich?“, frage ich den Fotografen. „Oh“, er tappt sich auf den Kopf, „Eins fünfundfünfzig oder so, schreib das nicht in der Zeitung – eigentlich bin ich zwei Meter groß, aber niemand sieht es.“

ANDREA ROEDIG, Jahrgang 1962, lebt als freie Journalistin in Berlin