Namenmassage

Ich bin ein Alan Berliner. In „Sweetest Sound“ (Forum) sucht Berliner Seelenverwandtschaft bei Namensvettern

Vielleicht hängt die Art, die Welt zu betrachten, tatsächlich damit zusammen, welchen Namen man trägt. Wer wie Hans Hansen ca. 5.000-mal im Kopenhagener Telefonbuch vorkommt, mag eher über Individuation in der Massengesellschaft nachgrübeln als, sagen wir mal, Dimitros Kelegerianopoulos oder Helene de Fougerolles. In den USA gibt es zum Beispiel ein alljährliches Treffen der Jim Smith Society, bei dem alle Menschen, die so heißen, gemeinsam essen, trinken, feiern und Baseball spielen – wenn man schon einen Allerweltsnamen hat, dann kann man auch alle Welt kennen lernen, die ihn trägt.

Für Freud war der Name sogar ein Teil unserer Seele. Sollte er Recht haben, dann muss es auch irgendeine namensvetterliche Wesensverwandtschaft zwischen allen Jim Smith, Peter Schulzes oder meinetwegen auch Alan Berliners geben. Der Name Alan Berliner liegt eigentlich auf der sicheren Schnittstelle zwischen Extravaganz und Allerweltssyndrom, phonetischem Glamour und Hinz und Kunz, trotzdem wollte der New Yorker Filmemacher eines Tages wissen, was ihn mit all den anderen Alan Berliners auf diesem Planeten verbindet – oder auch nicht. Herausgekommen ist „The Sweetest Sound“, ein persönlicher Essay über private Semantik und Familienverhältnisse, Individualismus und Sterblichkeit.

Mit dem typischen stakkatohaften Rhythmus seiner Dokumentarfilme stürzt sich Berliner Hals über Kopf in den amerikanischen Namenspool, befragt Menschen auf den New Yorker Straßen über ihr Verhältnis zum eigenen Namen, besucht Archive, Internetdatenbanken, interviewt seine Mutter, seine Schwester, seinen Vater. Vor fünf Jahren hatte Berliner schon einmal einen Film über die eigene Familiengeschichte gedreht: „Nobody's Business“, ein Dokumentarfilm, der eigentlich nur darin bestand, dass der Sohn versuchte, seinen halsstarrigen Vater davon zu überzeugen, dass man über ihn durchaus einen Dokumentarfilm drehen kann. Schon damals fand der Alte alle Fragen nach dem Ursprung des Namens Alan Berliner „total bescheuert“.

Vielleicht ist es tatsächlich bescheuert, wenn Alan Berliner in New York eine Dinner-Party für zwölf weitere Alan Berliners veranstaltet und sie nach ihren Berufen, Lieblingsworten oder Lieblingsfarben befragt. Andererseits gelangt er über ihre Antworten wiederum zu verschrobenen und geradezu Woody-Allen-haften Meditationen über die eigene Einzigartigkeit und Vergänglichkeit. So hat die nicht nur namenstechnische Erkenntnis, dass es in diesem Leben zu jedem Hinz einen Hinz und zu jedem Kunz einen Kunz gibt, in „The Sweetest Sound“ letztlich auch etwas Tröstliches.KATJA NICODEMUS

„The Sweetest Sound“. Regie: Alan Berliner. USA, 60 Min.