Clements Radikalkur für NRW-Unis

Der Ministerpräsident will im Schnellverfahren eine flächendeckende Hochschulreform umsetzen. Bis zum Sommer werden Gesamthochschulen umgewandelt, Unis zusammengelegt und das Lehrerstudium verändert. Studierende wollen protestieren

aus Düsseldorf ISABELLE SIEMES

Ministerpräsident Wolfgang Clement und seine Bildungsministerin Gabriele Behler (beide SPD) wollen die Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich neu ordnen. Grundlage dafür soll das Gutachten sein, das ein Expertenrat Clement gestern überreichte. Das 16-köpfige Expertenteam hat eine Reihe Aufsehen erregender Vorschläge unterbreitet: Es will das Lehrerstudium komplett umbauen. NRWs Universitäten sollen eng kooperieren oder gar fusionieren. Zudem sollen die Gesamthochschulen abgeschafft und die Fachhochschulen gleichzeitig stark ausgebaut werden.

Clement will, so sagte er, durch die Neuordnung der Hochschulen die internationale Wettbewerbsfähigkeit seines Landes stärken. Die Vorschläge des Rats würden „nicht nur in unserem Land, sondern darüber hinaus von sich reden machen.“ Bereits im Sommer soll Bildungsministerin Behler Konsequenzen aus dem Gutachten ziehen. Alle 27 Hochschulen sollten aber erhalten bleiben. Behler betonte in Düsseldorf, dass kein Sparprogramm beabsichtigt sei. Studierende einer Reihe von NRW-Unis haben aber bereits Proteste gegen den Umbau der Hochschullandschaft an Rhein und Ruhr angekündigt.

Der Expertenrat hat sich ausdrücklich für die Beteiligung der einzelnen Bildungseinrichtungen ausgesprochen. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Hochschulen die Hauptakteure in dem Erneuerungsprozess sind“, erklärte der Vorsitzende des Rats, Hans-Uwe Erichsen, der bis 1997 Chef der Deutschen Rektorenkonferenz war.

Der Expertenrat spricht sich grundsätzlich für aufeinanderfolgende Studiengänge nach dem Muster der neuen Bachelor- und Masterabschlüsse aus. Auch das ständig in der Diskussion befindliche Lehrerstudium soll ein solches gestuftes Modell erhalten. Das bedeutet, dass die künftigen Lehrer zunächst einen Bachelor erwerben sollen – um dann in einem postgradualen Studium für die Schulpraxis fit gemacht zu werden. Dadurch soll des Lehrerstudium geöffnet werden. Nach dem Bachelor entscheiden die Studis selbst, ob sie danach einen Master anstreben oder doch Lehrer werden wollen (siehe „lehrerstudium“).

„Mit der Polyvalenz [Mehrfachverwendbarkeit, die Red.] des Lehramtsstudiums wird der Berufswechsel zwischen schulischem und außerschulischem Bereich erhöht“, begründete Erichsen. Zudem würden durch die kürzere berufsspezifische Phase die „Schweinezyklen“ bei der Lehrerausbildung vermieden. Schon heute suchen NRW wie andere Bundesländer händeringend Pädagogen. Die Pensionierungswelle rollt an und das Studium dauert mit acht Semestern plus drei Semestern Prüfung zu lange. Behler warnte vor Schnellschüssen, begrüßte allerdings das konsekutive Lehramtsstudium. Sie schloss auch eine grundlegende Reform des Referendariats im Anschluss nicht aus.

Weiterhin empfiehlt der Expertenrat eine Konzentration der Lehramtsstudiengänge an einigen Hochschulen. Im Klartext: In den Unis Düsseldorf und Bonn sollen keine Lehrer mehr ausgebildet werden. Auch die Uni Bochum soll keine eigenständiges Lehramt mehr anbieten, sondern dies unter Federführung von Dortmund bewerkstelligen. Düsseldorf und Bochum haben bereits die Flucht nach vorne angetreten und schon mal bei der Ministerin angefragt, ob sie Modelle des neuen modularen Lehramts erproben dürfen. Der Rektor der Uni Bonn, Klaus Borchard, hat indes Protest angekündigt: „Das ist keine Entscheidung auf der Grundlage von Qualität, sondern reine regionale Strukturpolitik.“

Die Gesamthochschulen, von der SPD in den 70er-Jahren in NRW eingeführt, sollen in Universitäten verwandelt werden. Ihre Fachhochschulzweige werden wegfallen und den FHs zugeschlagen. Zudem sind die FHs angehalten ihr Fächerspektrum zu erweitern. So soll künftig auch in den FHs eine juristische Ausbildung möglich sein, damit die juristischen Fakultäten an den Unis entlastet werden.

Bei diversen Fächern schlägt der Expertenrat Kooperationen zwischen den Hochschulen vor. „Schwächen sollen durch Bündelung von Potentialen und Ressourcen bewältigt werden,“ erklärte Erichsen. Insbesondere empfiehlt der Rat eine Fusion zwischen der Gesamthochschule Essen und der Uni Duisburg. Die führen bereits seit längerem Gespräche über eine enge Zusammenarbeit (siehe „fusionitis“).

Bildungsministerin Behler will noch im März mit den Hochschulen über das neue Studienangebot verhandeln. Das Ergebnis wird in einer Verordnung zusammengefasst, die der Landtag noch vor der Sommerpause beschließen soll. Die Superministerin für Schule und Hochschule glaubt offenbar nicht, dass die Radikalkur protestlos durchgeht: „Wenn wir etwas bewegen wollen, dann dürfen wir auch vor unangenehmen Schritten nicht zurückschrecken“, appellierte sie an die Reformfähigkeit.