die stimme der kritik
: Betr.: Neues aus dem Kurzweil-Feuilleton

Glänzend erdacht, verwirrend gemacht

Herr Sloterdijk schien verwirrt und etwas einfallslos. Nur eine Frage hatte er für das Gipfeltreffen des Geistes zurechtgelegt, das ihn am Vorabend der Genom-Entschlüsselung (unter Führung Frank Schirrmachers) mit Entschlüsseler Craig Venter zusammenbrachte . Und die wiederholte er dann mit einer gewissen Penetranz: „Warum, Herr Venter? Warum haben Sie das Genom entschlüsselt?“, soll er laut Mitschrift des FAZ-Herausgebers unentwegt gefragt haben, bis endlich die amerikanische Botschafterin in den Niederlanden den deutschen Philosophen scharf zurechtwies: „Lassen Sie ihn jetzt in Ruhe!“

Doch jetzt erfahren wir: Vielleicht war alles ganz anders. Peter Sloterdijk hat womöglich eine ganze Menge interessanter Fragen gestellt. Vielleicht hat Craig Venter sogar geantwortet. Allein: Der Mitschnitt war verschwunden. Ein ehemaliger Praktikant, der mit Abschrift und Übersetzung der Bänder betraut worden war, erklärte, laut Informationen der Berliner Zeitung, er habe die Bänder in den Main geworfen. Beim Abspielen habe ihn „eine Welle der Abscheu überflutet“. Der zuständige Redakteur Joachim Müller-Jung drohte dem rasenden Expraktikanten und Mittelalter-Experten daraufhin „mit blanker Faust“. Doch der blieb standhaft. „Venter denkt nicht an Ethik, nur ans Geld“, so der Widerständler. Deshalb musste er die Bänder versenken.

Und Frank Schirrmacher musste das gewaltsam entwendete Gespräch nun also aus dem Kopf memorieren, wobei ihm offenbar nur jene eine Frage Sloterdijks im Kopf geblieben war. Und ein großer Dialog. Venter: „Ich rede gerne mit Philosophen.“ Sloterdijk: „Ich habe Sie ziemlich gut studiert.“ Venter: „Ich mag es, wenn Philosophen mich studieren.“ So weit die einzige wörtlich wiedergegebene Sequenz. Glänzend erdacht, Herr Schirrmacher.

Was in dem wirklichen Gespräch so beredet wurde, können wir vielleicht doch noch bald nachlesen. Denn der aufrecht kämpfende Expraktikant hat die Bänder offenbar doch nicht versenkt. Das kam heraus, als die FAZ nicht mehr mit körperlicher Gewalt, sondern rechtlichen Schritten um die Herausgabe der unmoralischen Aufnahmen kämpfte. Da gab er auf. Und erklärte nach großem Ringen: „Es war ein Akt der Befreiung.“ Jetzt ist er befreit. Endgültig wohl. Wie in letzter Zeit so mancher Feuilleton-Redakteur in Deutschlands Kurzweil-Feuilleton. Webcam-Übertragungen aus den Frankfurter Redaktionsräumen hätten zur Zeit Aussicht auf höchste Einschaltquoten. VOLKER WEIDERMANN